: Eine Gewinnerin, ein Verlierer
Die Bremer Grüne Helga Trüpel schaffte hauchdünn doch noch den Einzug ins Europaparlament, der EU-Abgeordnete Bernd Lange aus Niedersachsen hingegen fällt dem SPD-Desaster zum Opfer
Hannover taz ■ Bis Sonntagabend um 19.30 Uhr war Bernd Lange sehr sicher, was er die nächsten fünf Jahre tun wird. Erst als die Hochrechnungen immer konkreter wurden, wurde ihm erschreckend klar, dass es mit 21,5 Prozent für ihn nicht reichen werde. „Es ist bitter“, sagt Lange, „dass die eigene Arbeit nicht Gegenstand der Wahl war.“
Der Umweltexperte ist der Mann, der unter dem desaströsen Wahlergebnis der SPD wohl am meisten zu leiden hat: Der 48-Jährige aus Burgdorf bei Hannover hat Listenplatz 25 bekommen, die SPD stellt aber im neuen EU-Parlament nur noch 24 Abgeordnete. Eigentlich hatte Lange mit gut 30 Prozent für die SPD gerechnet – das hätte seinen Wiedereinzug ins EU-Parlament bedeutet. Mitten in der Wahl-„Party“ der SPD fuhr er deshalb schockiert nach Hause, gestern Mittag unterbreitete er seinen Mitarbeitern beim Essen in Hannover, dass ihnen wohl der Gang zum Arbeitsamt bevorstehe.
Das bundesweite Abstrafen von Schröder, Münte & Co hat zehn Jahren Arbeit in Brüssel und Straßburg abrupt ein Ende gesetzt. „Man muss das im Kopf erst mal klar kriegen“, sagt Lange, dem viele bescheinigen, als Parlamentarier exzellente Arbeit geleistet zu haben. Er setzte sich für strenge Abgaswerte für Autos wie Rasenmäher ein, kämpfte für sauberes Wasser oder machte sich für Batterien ohne Schwermetalle stark.
„Es tut richtig weh, Lange zu verlieren“, sagte SPD-Landeschef Wolfgang Jüttner gestern in Demutsmiene. „Neben dem Gesamtwahlergebnis“ sei „das sicher der härteste Schlag“ für die Genossen in Niedersachsen gewesen, die nur noch Garrelt Duin und Erika Mann ins EU-Parlament entsenden dürfen. Das Jammern der Genossen nützt Lange nichts. Er muss gehen, Jüttner darf bleiben.
Vielleicht hätte es doch noch gereicht, wenn die SPD wie die CDU Landeslisten aufgestellt hätte, keine Bundeslisten. So tauchte sein Name am Sonntag noch nicht mal auf den EU-Wahlzetteln auf: Auf dem waren nur die ersten zehn Kandidaten gelistet.
„Ich falle nicht ins Bodenlose“, sagt der studierte Theologe und Politikwissenschaftler. Er könnte wieder als Lehrer arbeiten. In den vergangenen Jahren hat er aber auch jede Menge Kontakte in Brüssel geknüpft. „Was passiert, werde ich mit Freunden besprechen. „Jetzt“, sagte Lange gestern Mittag, „fahre ich erst mal nach Hause.“ kai schöneberg
Bremen taz ■ Erst gestern Morgen um 6.14 Uhr hatte Helga Trüpel Gewissheit. Da erfuhr die Bremer Grüne das vorläufige amtliche Endergebnis der Europawahl, sah die 11,9 Prozent, die ihre Partei bundesweit erreicht hatte und wusste definitiv: Ich bin drin. Im Europäischen Parlament. Das schien bis dahin zwar möglich, aber längst nicht sicher. Die Bremer EU-Kandidatin hatte den Wackelplatz 13 der Grünen-Bundesliste inne und damit einen emotionsreichen Wahlabend – vom ersten Eindruck des Scheiterns bis zum festen Glauben an den Sieg war alles dabei.
Jetzt ist sie also drin. Helga Trüpel ist ein erfahrener Polit-Profi, die noch dazu ein überaus medientaugliches Erscheinungsbild vorweisen kann – das hatte den Grünen die Wahlwerbung in Bremen ziemlich einfach gemacht. Ihren Slogan „Europa ist eine Frau“ druckten sie einfach auf ein Foto der 45-Jährigen – mehr nicht. Dennoch betonte Trüpel, dass die Grünen im Gegensatz zu anderen Parteien als Einzige inhaltlich gekämpft hätten. Trüpel diskutierte über die EU-Verfassung, über den Beitritt der Türkei, über das, was Bremen von Europa zu erwarten hat – und zumindest ihr eigenes Klientel haben die Grünen damit gänzlich erreicht: 39.700 Menschen wählten im Land Bremen am Sonntag die Grünen – bei der Bürgerschaftswahl 2003 bekamen sie 37.350 Stimmen.
Helga Trüpels Karriere in der Politik hatte ihren ersten Höhepunkt 1991: Da bekam Bremen die Ampelkoalition und Trüpel wurde Kultursenatorin. Nach dem Platzen der Koalition gab sie die kultur- und wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, geißelt seither die auf Großprojekte orientierte Sanierungspolitik des Haushaltsnotlagelandes und hat die Bremer Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2010 maßgeblich initiiert.
Um Kultur will sich Helga Trüpel auch weiter kümmern. Sie hofft auf einen Sitz im Kulturausschuss und will „Künstlernetzwerke über ganz Europa fördern“. Weiterer Schwerpunkt soll der Strukturwandel in Richtung Wissensgesellschaft, der „Umbau der Produktion in wissensbasierte Produktion“ sein.
Ihr Ruf eilt Helga Trüpel voraus – mit Bremen scheint der aber kaum verknüpft. Als sie noch die Kandidatenkür ihrer Partei zu bestehen hatte, da war aus Brüssel bereits zu hören, dass man „diese schöne Ex-Senatorin aus Hamburg“ doch gerne im Boot hätte. Susanne Gieffers