: Der Standort ist besser als sein Ruf
Dass es Deutschland an internationaler Wettbewerbsfähigkeit fehle, ist ein gern verbreitetes, aber nie bewiesenes Fehlurteil. Im Gegenteil: Eine Reihe von Basisdaten zeigt, dass die anhaltende Wirtschaftskrise ganz andere Gründe haben muss
aus Hamburg HERMANNUS PFEIFFER
„Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist international nicht wettbewerbsfähig.“ Mit dieser vielfach abgewandelten Lieblingsthese begründen Konzerne, Verbände und Kanzler die Notoperationen am jahrzehntelang bewährten „Rheinischen Kapitalismus“. Dahinter stehen jedoch eine Menge Fehlurteile.
Das erste Fehlurteil betrifft die angebliche Exportschwäche. Bundeskanzler Schröder hat darum die Europäische Zentralbank (EZB) aufgefordert, für einen billigen Euro zu sorgen. Tatsächlich sind die Ausfuhren bei der letzten Zählung des Statistischen Bundesamts jedoch auch so schon um satte 8,1 Prozent angestiegen. Für 54,3 Milliarden Euro exportierten allein im Mai inländische Firmen in aller Herren Länder.
Das zweite Fehlurteil schürt die Angst vor Billiglohnländern. Zweifellos sind viele einfache Fabriken in den 90ern etwa nach Ungarn und Tschechien abgewandert und ziehen mittlerweile weiter gen Osten, wo die Löhne noch niedriger sind. Aber im Regelfall blieben sie nur die verlängerte Werkbank deutscher Unternehmen und befruchten damit die hiesige Produktion.
So erklärt sich, dass die angeblich aussterbende deutsche Industrie – drittes Fehlurteil – seit 1996 um 12 Prozent gewachsen ist, wie die Notenbank in Rom bitter beklagt. Belobigt wird die globale Schlagkraft der bundesdeutschen Industrie, während die italienische vor allem aus unzähligen kleinen Familienbetrieben bestehe.
Die geballte Kraft etwa des hiesigen Maschinenbaus sorgt für gute Geschäfte selbst mit Billiglohnländern. So war Deutschlands Handelsbilanz mit den Tigerstaaten überaus positiv, obwohl Korea, Thailand und Indonesien bis zur Asienkrise 1997 als Exportweltmeister galten. Mit dem aktuellen Hoffnungsträger der Weltkonjunktur, China, legte der deutsche Export im vergangenen Jahr um sagenhafte 20 Prozent zu.
Dass sich aufstrebende Länder schnell zum lukrativen Partner entwickeln können, hat zwei Gründe, zum einen entwickelt sich ein neuer Markt für exquisite Konsumgüter. So verkauft Volkswagen inzwischen mehr Autos in China als in Deutschland. Zum anderen liegt eine besondere Stärke darin, schlüsselfertige Komplettlösungen ganzer Industriegiganten anbieten zu können, die übrigens oft durch Subventionen, staatliche Hermes-Bürgschaften, abgesichert sind. So baut Wabag in der Türkei eine Kläranlage, MAN erschließt zwei Gasfelder in Mosambik und Siemens stellt auf den Philippinen mehrere Kraftwerke hin.
Die globale Wettbewerbsfähigkeit scheitert auch nicht an hohen Kosten, wie ein viertes Fehlurteil glauben macht. Je Arbeitsstunde werden hierzulande Produkte für rund 40 Dollar erzeugt, ermittelte ein US-Forschungsinstitut – deutlich mehr als in den USA, Japan oder im EU-Durchschnitt. Dass die Konjunktur lahmt, hat vor allem einen Grund: mangelnde Binnennachfrage. Familien und Firmen geben einfach zu wenig Geld aus.