: Tragödie am Fluss
Subtil angedeuteter Schrecken, der sich fast unmerklich einstellt: Das Metropolis zeigt in seiner derzeit laufenden kanadischen Filmreihe „Kissed“ und „Suspicious River“ von Lynne Stopkewich
von ECKHARD HASCHEN
Gute FilmemacherInnen erkennt man oft schon an den Titeln ihrer Filme, bei denen es ja mindestens so sehr auf den Klang der Worte ankommt wie auf deren Bedeutung. Lynne Stopkewichs zwei bisher gedrehte Spielfilme heißen Kissed und Suspicious River, und das klingt zugleich eingängig und geheimnisvoll – wobei die Filme selbst sehr viel mehr zu Letzterem tendieren. Es sind Filme, die haften bleiben, vor allem, weil sie ihren Schrecken vielmehr subtil andeuten, als ihn explizit auszuspielen.
So handelt ihr 1996 entstandenes Debüt, Kissed, zwar von Nekrophilie, was fast nach ausgiebiger Exploitation schreit, hier aber mit einer ganz anderen Sensibilität behandelt wird. Stopkewich (Jahrgang 1964) unterscheidet sich darin grundsätzlich von ihrem Landsmann, David Cronenberg, dem großen Meister des Körper-Horrors. Auch wenn sie kurz zuvor noch bei dessen Crash für das Production Design verantwortlich zeichnete. Sehr viel mehr fühlt man sich bei ihren Regiearbeiten an die unmerklich einsetzenden Irritationen in den Filmen eines David Lynch erinnert. Eine englische Kritikerin beschrieb Suspicious River gar als „Twin Peaks as written by Franz Kafka“.
Nur 78 Minuten braucht Stopkewich in Kissed, um den Flirt ihrer Heldin mit den Toten bis zum konsequenten Ende zu erzählen. Von Molly Parker mit elektrisierender Lakonie gespielt, ist Sandra Larsons Affinität zu leblosen Körpern lange Zeit kein Problem. Die schon seit ihrer Kindheit vom Tod faszinierte Studentin arbeitet als Assistentin in einer Leichenhalle. Die Schwierigkeiten beginnen, als sie intime Beziehungen zu den aufgebahrten Toten aufnimmt. Und als ihr Freund immer eifersüchtiger auf die Toten wird.
Auch in Suspicious River gelingt es Stopkewich von Anfang an, den Zuschauer in eine ganz eigene Welt zu entführen. Während man noch meint, dem Alltag von Leila Murray (wiederum mit bewundernswerter Disziplin von Molly Parker verköpert) mit gemischten Gefühlen zuzuschauen, wird man bald ebenso sehr von ihren Träumen und Erinnerungen gefangen genommen wie diese selbst. „I was born at a suspicious river, I grew up and live there“ bekennt sie schon mehr als nur ein wenig resigniert. Sie arbeitet am Empfang eines Motels und ist den Gästen – meist allein reisende Geschäftsleute – gegen Aufpreis auch sexuell zu Diensten. Mit dem zwielichtigen Gary Jensen (Callum Keith Rennie, der schon zu Beginn der Reihe in Flower & Garnet einen Mann mit gestörtem Gefühlshaushalt spielte) beginnt sie eine Affäre, obwohl der sie bei ihrer ersten Begegnung vergewaltigt hat. Als er sich bald als eine Art Zuhälter entpuppt und sie sich endlich besinnen müsste, wird sie – ausgelöst von einer Tragödie am anderen Ufer des Flusses – umso stärker von quälenden Kindheitserinnerungen heimgesucht.
In Stopkewichs Verfilmung des gleichnamigen Romans von Laura Kasischke verschwimmt die klare Grenze zwischen Traum und Realität zum Ende hin immer mehr. Die beiden Filme – Suspicious River ist wegen der Pleite von Kinowelt bei uns bisher nicht angelaufen – gehören sicherlich zu den Schmuckstücken der gegenwärig im Metropolis laufenden Filmreihe „Maple Movies – Filmland Kanada“. So wie Lynn Stopkewich zu den wenigen RegisseurInnen ihrer Generation gehört, deren unverwechselbare Handschrift zu wirklich großen Hoffnungen berechtigt.
Suspicious River: heute, 19 Uhr; morgen, 21.15 Uhr; Kissed: Do, 24.7., 21.15 Uhr; Fr, 25.7., 19 Uhr; Sa, 27.6., 17 Uhr