: Kuscheln und Winken
„Mehr als tausend Worte“ im Wagenfeld-Haus untersucht große Gesten und kleine Peinlichkeiten. So auch den aktuellen Rolandrausch
Sein Schnabel ist zu dick, er macht zu lange Krallen und knickt im Rückgrat ein. Mutmaßten die Volksvertreter etwa, dieses Wappentier könnte zu falschen Schlüssen über ihre Amtsauffassung führen? Jedenfalls musste sich der Bundesadler einem gründlichen Relaunch unterziehen, bei dem auch politisch unverdächtigere Problemzonen wie die „brettähnlich Zunge“ und der „Hosenrock“ geliftet wurden. Mit seinem neuen Auge starrt er jetzt motzig-munter gen Himmel und spreizt die sanft auswärts geschwungenen Federn.
Politik ist eine Stilfrage – diese Erkenntnis führt die Ausstellung „Mehr als tausend Worte. Die Sprache politischer Symbole“ im Wilhelm Wagenfeld Haus mit unzähligen Fotos und Graphiken vor Augen. Kein einziges leibhaftiges Exponat entspannt das Auge, nur eng bedruckte Hängeleinwände, die sich wiegen und blähen beim Vorbeigehen. Wer sich nicht abschrecken lässt von dem entgleitenden Textwust, der ihm im harmlos-pädagogischen „wir“ die Sprechakt-Theorie um die Ohren haut, kann sich auf eine skurrile Materialsammlung freuen.
Den aktuellen Rolandrausch nehmen die Ausstellungsmacher vom Bremer Institut für Integriertes Design als Aufhänger. Aber mit Hilfe von Rolands weiblichen Kolleginnen zeigen sie gleich, wie relativ der Freiheits-Enthusiasmus ist. Was ist Freiheit, wenn sie 1850 von der Bavaria ebenso verkörpert werden kann wie in den 30er Jahren in Riga von einer Kollegin in ähnlicher Pose? Nationale Unabhängigkeit oder Handelsfreiheit, bürgerliche, royale, allgemeine Rechte? Justitia starrt da nur gleichmütig gegen ihre Augenbinde. Wenn sie nicht gerade dösend an einem Sockel lümmelt. Oder sich entschlossen auf ihr Schwert stützt, als wolle sie gleich selbst für Ordnung sorgen. Auch die Gerechtigkeit ist nicht immer objektiv.
Die Chronologie ihrer Bilder wirft einen schrägen Blick auf die Geschichte der Bundesrepublik. Wahlplakate erzählen von der Angst, die die Politik der Nachkriegszeit bestimmte. Angst, dass die Braunen wiederkommen oder dass die Roten übernehmen. „Keine Experimente. Konrad Adenauer“ war 1957 schon Argument genug. In den 80ern dagegen wurde diskutiert. „Im deutschen Interesse werde ich als Bundeskanzler die Weltmächte mit aller Kraft zu Verhandlungen drängen“, schläfert der steif beschlipste Hans-Jochen Vogel eine verzweifelte Atomraketen-Gegnerin ein. Da hatten die Wähler noch richtig viel Zeit zum Lesen.
Eindrucksvoll dokumentieren die zunächst trüb-schlichten, dann schwarz-rot-gold-dominierten Bilder von den Montagsdemos in der sterbenden DDR, wie sich die Richtung der Bewegung verschob: Von „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“, von Demokratieforderungen zur nationalen Einheitssehnsucht. Das von Telekom-Werbung verhüllte Brandenburger Tor („Wir verbinden“), Rotkäppchen-Sekt und Spreewaldgurken bezeugen: Die Symbolik der Einheit ist inzwischen Sache der Werbung.
Zum Abschied darf jeder unter dem launigen Motto „Don’t talk just kiss“ seinen Lieblingsfeind in peinlichen Situationen überraschen: Erich Honecker kuschelt mit dem Erzdiktator Caucescu, Jassir Arafat küsst die Stirn des Terrorpaten Scheich Jassin. Saddam Hussein und George W. Bush winken auf unterschiedlichen Bildern, aber beinahe synchron. Annedore Beelte
Bis 8.8., Mi-So 10-18 Uhr, Di 15-21 Uhr