Schwein ohne Darm

Freundliche Männer in „die Eier“ schießen: Die Volksbühne verbrüdert sich wieder mit Kindern, Kolonisten und Bratwurstessern. Diesmal im Wedding, dem Widerstandsnest gegen den Mitte-Schick

VON DETLEF KUHLBRODT

„Lasse das Volk den Tod schwer nehmen und nicht in die Ferne ziehen“, heißt es bei Lao-Tse. Das ist sicher sehr richtig. Trotzdem nimmt man sein Herz in die Hand und fährt in den Wedding. In der Pankstraße gibt es viele Bestattungsunternehmer, Grieneisen residiert in einem „Haus der Begegnung“, und die Volksbühne hat ihre Theaterferien-Dependance, die „Rollende Roadshow“, auf einem schönen Brachgelände an der Uferstraße aufgestellt.

Dies ist bereits das fünfte Mal, dass die Volksbühne für ein paar Tage in die Ferne zieht. Man war schon in Marzahn, im Märkischen Viertel, in Lichtenberg. Neukölln hatte den Volksbühnlern so gut gefallen, dass sie gleich zwei Sommer da spielten. Nun also Wedding. Der Wedding ist grün wegen des Schillerparks, dem Humboldthain, der Rehberge, dem Strandbad Plötzensee und der romantischen Flusslandschaft an der Panke, und früher war der Wedding mal rot.

Wenn man aufs Gelände der Roadshow kommt, fühlt man sich so ähnlich wie auf einem Rave weit draußen in Brandenburg: Am Anfang steht ein Auto, aus dem heraus Eintrittskarten verkauft werden. Weiter hinten gibt’s Würstchen – Geflügel bzw. Schwein ohne Darm –, einige sehr große aus Holzstäben gefertigte Freilichtskulpturen von einem Bildhauer, der in den ehemaligen Produktionsstätten von „rotaprint“ sein Atelier hat, Gras und Bäume, weiße Plastikliegestühle und am Rande, aber wieder auch nicht zu nahe, Häuser mit Fenstern, in denen manchmal Weddinger zu sehen sind.

In der Mitte des Geländes stehen drei Bühnen wie eine Wagenburg. Ein orangenes Zeltdach deckt den Platz, in der Mitte steht ein sechseckiger Tresen. Da gibt’s „Hasseröder Pils“ und „Jakobs Meisterröstung“. Auf zwei Monitoren kann man sich schöne und informative Dokumentarfilme über den Wedding anschauen. Sie sind zwischen 1962 und 2004 entstanden und behandeln historische, sozialpolitische und stadtplanerische Fragen. Man erfährt, warum der Wedding rot war, welche Flugblätter hier gedruckt wurden, dass die unzähligen Weddinger Kleingartenkolonien früher „Elend“, „Kummer“ und „Sorge“ hießen und heute optimistischere Namen tragen und dass es im Wedding „Wiesen und große Häuser“ gibt.

Auch gibt es ein Modell des Geländes, in das man mit einem Spielzeuglaster fahren kann, und einen Zettel, auf dem Kinder aufgeschrieben haben, was sie am liebsten hier haben würden. Vier Eintragungen sind rührend und widersprüchlich: „Naturschutzgebiet“, „Rakete“, „Kirche“, „meine Eltern Bungalow“. Auf einer Bühne stehen Nähmaschinen. Da kann man sich die Logos – Mann, Frau, Hund oder Katze – der diesjährigen Roadshow, die unter dem Motto „Licht, Luft, Sonne“ auf die groß angelegten Wohnbauprojekte im Wedding nach dem Zweiten Weltkrieg verweist, auf seine Sachen applizieren lassen.

Vorbereitend wuseln Leute durch die Gegend. Vor allem gibt es viele vermutlich türkisch- und arabischstämmige Kinder, die sich begeistert mit Spielzeugbazookas beschießen und dabei von dankbaren Fotografen geknipst werden, was sie immer kühner werden lässt. Einer fragt: „Wollen Sie aufgespießt werden von meiner Bazooka?“ Gern schießen sie auch freundlichen Männern „in die Eier“ und lachen dabei. Viele der Kinder hat Constanza Macras von der Kompagnie „Dorky Park“ auf der Rollenden-Roadshow 02/03 kennen gelernt. Seitdem arbeitet sie mit ihnen zusammen. „Streetlife Neukölln Undercover Wedding“ ist eine wilde Breakdance-Show. Ein zehnjähriger Junge rappt auf Arabisch. Die Luftballons auf der Bühne sind von McDonald’s. Die italienische Band Banda Veleno spielt entspannten Rock’n’Roll, zum Ausklang gab’s den schönen Western „Für eine Handvoll Dollar“ von Sergio Leone.

Jeden Tag wechselt das Programm: René Polleschs „Pablo in der Plus-Filiale“ kommt am Samstag, einen weddingorientierten Videoschnipselvortrag von Jürgen Kuttner und die Puppetmastaz werden Sonntag erwartet, S-8-Filme aus dem Wedding und ein Live-Hörspiel sind auch dabei. Nur an die EM hat bislang noch keiner gedacht. Daran wird aber gearbeitet.

Rollende Roadshow 2004, Uferstr. 19, geöffnet ab 16 Uhr, Showprogramm ab 20 Uhr, bis Sonntag