: Wieder Big in Berlin
Das System Popkomm krankt an der Krise der Musikindustrie – und an sich selbst. Der Umzug in die neue Musikhauptstadt soll es heilen
von GERRIT BARTELS und MAX HÄGLER
So schließt sich ein Kreis: 1988 war es, als in Berlin erstmals eine übergreifende Musikmesse ausgerichtet wurde, die so genannten Berlin Independence Days (BID). Nachdem aber schon ein Jahr später Dieter Gornys vor allem auf die Musikindustrie fixierte Kölner Popkomm der BID den Rang abgelaufen hatte, kommt die Popkomm nun nach Berlin, sozusagen nach Hause. Dieser Wechsel kündigte sich nicht nur durch die Umzüge von Majorlabels wie Universal und Sony nach Berlin an – er hat seinen Grund auch in der zunehmenden Orientierungs- und Bedeutungslosigkeit der Popkomm selbst. „Die Popkomm will eine Neudefinition. Wir erhoffen uns frischen Wind“, gestand Dieter Gorny ungewohnt offen am Donnerstag in Köln. Da mochte zwar Gerd Gebhardt, der Vorstandsvorsitzende der deutschen Phonoverbände, auch noch die trostlose Popkomm 2002 als großen Erfolg verkaufen: Sie sei der richtige Rahmen gewesen, so Gebhardt, damit die „Musikindustrie die Zukunft der Musik“ effektiv und erfolgreich gestalten könne. Nicht zuletzt der Umzug in die neuen Messehallen sei genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen.
Da war es aber genau dieser Umzug in die Hallen 5, 6 und 7 des Kölner Congress Centrums West, der selbst die unbedarftesten Popkomm-Besucher feststellen ließ, dass auch die Popkomm unter der schweren Krise der Musikindustrie zu leiden hat. Spürbar überschaubarer ging es plötzlich zu, statt Weiträumigkeit und Trubel herrschte in den neuen Hallen Enge und ein bisschen Muff, viele kleinere Labels fanden es schlichtweg überflüssig, sich mit einem Stand zu präsentieren. Das drückte sich auch in Zahlen aus: 797 Aussteller aus 29 Ländern waren 2002 da, ein herber Einbruch im Vergleich zum erfolgreichsten Jahr 2000 mit seinen 924 Ausstellern. Anzeichen dafür, dass der Popkomm einschneidende Veränderungen bevorstehen, war auch die Tatsache, dass die Musikkomm GmbH, die die Messe seit 1989 veranstaltete, direkt von der Viva Media AG übernommen wurde.
Auch Branchenkenner wie Mark Löscher vom FourMusic-Label (Gentleman, Fantastische Vier) stellten fest: „Es ist offensichtlich, dass man in Köln vieles anders machen will.“ So wurde etwa der so genannte Business-Kongress neu strukturiert, Genre-Pavillons eingeführt („Kleine Firmen ganz groß“) und die Raumpreise deutlich gesenkt. Das Ziel dieses Jahr: ein „Programm der Superlative für alle“.
2002 war auf den Panels viel von „Inhalten“ die Rede, von „glaubhaften Acts“, ja sogar von „Musik“ (Tim Renner von Universal). Eher weiträumig umging man die Frage, wie es denn um die Inhalte der Popkomm bestellt sei. Ob es überhaupt Sinn mache, sich in Köln zu treffen, um jedes Jahr aufs Neue die Krise der Musikindustrie in Form schwerer Umsatzeinbrüche zu konstatieren, gebetsmühlenhaft die Internet-Downloads und das CD-Brennen als Gründe anzuführen und trotzdem immer wieder einen Aufbruch zu beschwören – man könnte von einer programmatischen Leere sprechen, die die Popkomm von Jahr zu Jahr mehr dominierte: Messe ja, aber keine Message mehr. Hochauflösende Brausewörter wie „Kreativität!“ „Interaktivität!“ „Fortschritt!“ wichen strahlender Illusionslosigkeit, nüchternem Pragmatismus und zuletzt auch reiner Ratlosigkeit angesichts der unaufhörlich voranschreitenden Musikindustriekrise.
Doch auch in Berlin ist man sich bewusst, dass das System Popkomm an sich selbst krankt. Frank Klaafs von der Berliner Labelvereinigung „Label Commission“ stellt etwa fest: „Die Popkomm ist in einer selbst gemachten Krise. Es wird zuweilen zu viel Party gemacht und zu wenige Geschäfte.“ Trotzdem war für ihn letztes Jahr das beste Messeereignis, schließlich waren „die Leute weg, die zuvor immer nur rumgelärmt hatten“. Es herrsche ein Mangel an Substanz, so Klaafs, und unklar sei, ob ein Umzug diese Symptome wirklich lindere. Zudem würden die wirklich wichtigen Deals auf der Midem in Cannes ausgehandelt, und nicht außer Acht lassen sollte man kleine Nischenmessen wie etwa das Amsterdam Dance Event oder die PopUp in Leipzig. „Viele sagen jetzt: Erfinden wir die Popkomm in Berlin neu, doch niemand redet über die Inhalte“, wundert sich Christoph Borkowsky Akbar, Chef vom Piranha-Label und Mitorganisator der Weltmusikmesse Womex. In seinen Augen ist es zweitrangig, wo die Popkomm stattfindet: „Das ist ungefähr so entscheidend wie das Gerangel um die vorderen Chart-Plätze.“
Über den Umzug nach Berlin freuen sich aber auch die kleinen Labels, die Klaafs vertritt – etwa Kitty Yo oder WMF-Records. Aber Klaafs sagt auch, dass die Musikmesse in ihrer momentanen Form nicht sehr hilfreich ist: „Wir hätten gerne eine zeitgemäße Arbeitsmesse, die auch neue Marktplätze, etwa im Lizenzgeschäft und in der Modebranche schafft.“
Dass der Umzug nach Berlin den Umzug in die neue Musikhauptstadt bedeutet, ist allen klar. „In Berlin ist man an allem näher dran, egal an was“, stellt etwa Fourmusic-Manager Mark Löscher fest. Auch er selbst ist vor kurzer Zeit mit seinem Label von Stuttgart nach Berlin gezogen. Ob die Popkomm von der vermeintlichen musikalischen Relevanz der Stadt Berlin profitieren kann, von MTV, Universal und Co, wie es sich die Macher wohl erhoffen, bezweifeln Kenner allerdings. So gibt Klaafs zu bedenken, dass es in Berlin schon eine Vielzahl musikalischer Großveranstaltungen gebe. Es werde sich zeigen müssen, ob die Popkomm ein Publikumsmagnet werde. Für ihn steht fest: „Nur wenn die Popkomm auch die Inhalte wechselt, wird es spannend.“