: Die schönste Sau im Koben
Vom Deutschen Weißen Edelschwein, swingenden Ochsen und Gewalt in der Ehe: In Hamburg feierte mit HK Grubers „Gloria von Jaxtberg“ die erste Schweineoper der Musikgeschichte Premiere
von Eberhard Spohd
Gute Zuchtsauen heißen wirklich so: Gloria von Jaxtberg. Schade nur, dass diese Gloria gar nicht den Vorgaben des Deutschen Weißen Edelschweins entspricht. Schließlich hat sie auf ihrem Schweinekopf goldene Locken und entspricht damit nicht dem Ideal der Rasse: Für die typische gute Schinkenausprägung ist sie zu mager, und die kurzen, graden Borsten, die aus weißer, pigmentfreier Haut sprießen, hat sie eben auch nicht.
Dass es tatsächlich eine solche Rasse gibt, war ein gefundenes Fressen für einen Librettisten, der sich anschickte, aus seinem Kinderbuch eine Textvorlage für eine Oper zu entwickeln. Der Autor Rudolf Herfurtner wandte sich an den Komponisten HK Gruber, und zusammen entwickelten sie die erste Schweineoper der Musikgeschichte. Dass es bei dieser Fabel, diesem Märchen, dieser Parabel, dieser Filmparodie auch um Fremdenfeindlichkeit geht, ließ sich nach der Vorlage „Deutsches Weißes Edelschwein“ fast nicht mehr vermeiden.
Im Großen und Ganzen vermeidet es jedoch die Inszenierung von Regisseurin Petra Müller, die am Donnerstag auf der Probebühne der Hamburgischen Staatsoper Premiere feierte, den Schwerpunkt auf die politische Seite der Parabel zu legen. Sie konzentriert sich stärker auf das Komische des Stücks und fährt damit ziemlich gut.
Was soll man zum Beispiel von einer Hauptdarstellerin halten, die sich selbst für das „schönste Schwein im Alpenrunde“ hält und nur darauf wartet, endlich von einem starken Eber gefreit zu werden. Der Neid und der rassistische Hass der anderen im Koben sind ihr sicher. Sie wird verstoßen, doch zwei Ochsen prophezeien ihr die Begegnung mit ihrem Märchenprinzen. Auf den muss sie allerdings lange warten. So wirft sie sich zwischendurch schon mal ihrem Schlachter an den Hals, weil sie ihn trotz fehlenden Ringelschwänzchens für den Angebeteten hält. In letzter Sekunde wird sie dann doch noch vom Rocker und Proleten Rodrigo gerettet, den sie ehelicht und mit dem sie in kürzester Zeit drei Ferkel zeugt.
Das alles klingt ein wenig langweilig und wäre es auch, hätte nicht HK Gruber bei der musikalischen Umsetzung einige gute Einfälle gehabt. Denn der gebürtige Wiener hat in dem Stück die rhythmische Sprache des gebürtigen Bayern Herfurtner nachgeahmt. Fast automatisch, so erzählt Gruber, entwickelte sich dabei die musikalische Form der Oper. Und die folkloristischen Elemente ließen sich in ironisch verfremdete Blasmusik übersetzen.
Für die beiden Ochsen, deren Gesang Gloria erst nach der Übersetzung durch zwei Hirsche versteht, komponierte er eine swingende Doo-Wop- bzw. Muh-Wop-Melodie. Entsprechend ergab sich eine für die Oper äußerst untypische Instrumentierung: Eine Geige ist übrig geblieben in diesem Kammerorchester – bravourös geleitet von Boris Schäfer –, eine Harfe und ein Schlagzeug. Den Rest der Musik bestimmen Holz- und Blechbläser inklusive Saxophon und Tuba.
Letztere sorgt für die Humtata-Atmosphäre eines Bierzelts, während der eher jazzige Bläsersatz durch Klarinette, Saxophon und Posaune geprägt wird. Diese Instrumentierung kommt auch den fünf Sängerinnen und Sängern entgegen, die von den Musikern an einigen Stellen fast vokalisch unterstützt werden. So quakt hingebungsvoll der Chor der Frösche, und die gestopfte Posaune quakt mit.
Überhaupt müssen die fünf auf der Bühne einiges leisten. Vier von ihnen sind Mitglieder des Internationalen Opernstudios, und so darf diese Inszenierung durchaus auch als eine Art Gesellenstück betrachtet werden. Die gesanglichen Anforderungen sind hoch, nicht zuletzt durch die Rhythmisierungen des Textes. Belcanto wird selten gefordert, statt dessen werden Töne angesungen; eine musikalische Reminiszenz an Kurt Weill findet sich ebenso wie eine schauspielerische an John Travolta und Olivia Newton-John.
Denn Gloria, (Ingrid Fröseth) in ihrem rosa Pettycoat und Rodrigo (Wilhelm Schwinghammer) in schwarzer Lederjacke erinnern auffallend an den Erfolgsfilm Grease aus den späten 70-ern.
Überhaupt verlangt das Stück etliches an Verwandlungsfähigkeit ab: Außer Fröseth schlüpfen alle Sänger in verschiedene Rollen wie Frösche, Schweine, Würstchen und sogar Berge, die nur über einige wenige Accesoires wie grüne Fliegen oder braune Pelerinen als Wursthüllen angedeutet werden.
Nur ganz am Ende wird es dann noch einmal politisch. Denn dass ausgerechnet die schöne Sau Gloria und der vormals frei durch die Wälder streifende Keiler Rodrigo eine glückliche Familie bilden, war eigentlich nicht zu erwarten. Denn eine Prinzessin ist Gloria nicht geworden, und ihr Gatte säuft. Und Gewalt in der Ehe gibt es auch bei Schweinen. Oder vielleicht nur bei solchen.
HK Gruber: Gloria von Jaxtberg. Weitere Vorstellungen: heute, morgen und 26. Juni jeweils 17 Uhr, am 22. und 24. Juni jeweils 19 Uhr auf der Probebühne der Staatsoper Hamburg, im Schlicksweg 21