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Archiv-Artikel

spd: münteferings rede Das doppelte Opfer

Man kann den Niedergang der SPD nicht verstehen, ohne sich ein paar Gedanken über das Opfer zu machen. Das Wort selbst ist ziemlich außer Gebrauch – zu pathetisch für unseren hedonistischen Konsumkapitalismus, zu religiös umwölkt für unser Politikverständnis, das auf rationalen Interessenaustausch geeicht ist. Trotzdem ist der Opferbegriff ein Schlüssel, um zu begreifen, warum Franz Müntefering noch so oft „Akzentierungen der Agenda 2010“ beschwören kann – ohne den freien Fall der Partei zu stoppen.

KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE

Die SPD-Führung verlangt von ihrer Stammklientel handfeste Opfer. Sie soll die Praxisgebühr, sinkendes Arbeitslosengeld und stagnierende Renten akzeptieren. Deshalb laufen vor allem Arbeiter und Arbeitslose in Scharen zur Konkurrenz links und rechts über.

Nun hat die SPD-Basis qua historischer Erfahrung durchaus die Fähigkeit, eigene Interessen hintanzustellen – allerdings muss klar sein, wofür. Die Macht allein reicht ihr, im Unterschied zur Union, nicht. Doch das Ziel der Opfer liegt, anders als Müntefering & Co meinen, im Nebel. Denn ihre Reformrhetorik sagt: Es gibt keine Alternative – und auch kein Ende.

Doch solange nicht klar ist, ob das Ganze wenigstens auf einen geschrumpften, aber funktionstüchtigen Sozialstaat hinausläuft oder auf dessen Karikatur, wird die SPD weiter verlieren. Denn jedes Opfer braucht Sinn – sonst ist es nichts anderes als eine ungerechte Zumutung. Solange die SPD-Klientel befürchten muss, dass auf Hartz IV Nummer V und VI folgen werden, wird es mit der Partei weiter bergab gehen.

Fragt sich, warum die SPD-Spitze dieses Schicksal mit jener stoischen Haltung erträgt, auf die sich Parteichef Franz Müntefering so gut versteht. Warum keine Kurskorrektur, wenn das Schiff geradewegs aufs Riff zusteuert? Warum schlägt Müntefering, wie seine Rede zeigt, die Chance aus, sich wenigstens als Gegenkanzler zu inszenieren?

Offenbar ist die SPD-Spitze selbst in einer eigenen Opfererzählung gefangen. In Schröders „Ich kann nicht anders“-Geste und Münteferings eiserner Disziplin, mit der das „Weiter so“ exekutiert wird, spiegelt sich ein Rest von sozialdemokratischer Geschichtsteleologie: Man opfert die Partei und die eigene Macht auf dem Altar des gesellschaftlich Notwendigen – früher hätte man gesagt: der Geschichte. So werden Schröder & Müntefering ihren Weg weitergehen. Bis in die Opposition.