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Archiv-Artikel

Justiz liegt bei „Genua“ im Koma

Carabinieri verprügelten auf dem G-8-Gipfel 2001 auch Berliner. Die können erst jetzt gegen Beamte aussagen

Steffen S. wird „Genua“ noch lange nicht ad acta legen. Zwar hat die italienische Staatsanwaltschaft nach zweieinhalbjährigen Ermittlungen den Berliner Studenten und alle anderen 92 Betroffenen bereits im Februar von den Vorwürfen freigesprochen. Doch Steffen ist einer von ihnen, der sich jetzt, drei Jahre nach dem die Carabinieri sie verprügelt haben, zurück an den Ort des Geschehens traut. Er will gegen die Polizisten aussagen.

Es war am späten Abend des 21. Juli 2001. So wie Steffen hatten viele weitere Globalisierungskritiker in der Schule Diaz ihre Schlafstätte. Hier war auch die Zentrale des alternativen Internetportals Indymedia.

Wie schon an den Vortagen hatten auch an diesem Samstag mehr als 300.000 Menschen aus ganz Europa nachmittags gegen die Staatschefs der führenden Industrieländer demonstriert, die sich zum G-8-Gipfel in der norditalienischen Hafenstadt getroffen hatten. Die meisten Gäste Berlusconis hatten die streng bewachte „Rote Zone“ in der Innenstadt bereits verlassen, als mehrere Polizeieinheiten den Auftrag erhielten, die Schule Diaz aufzusuchen.

Was dann geschah, ging als „chilenische Nacht in Genua“ in die Annalen ein. Prellungen, Platzwunden, gebrochene Arme, Nasen und Kiefer, ausgeschlagene Zähne, Schädelbrüche, zwei Personen lagen nach dem Polizeiüberfall im Koma – 62 der insgesamt 93 Personen wurden krankenhausreif geschlagen.

Die Übergriffe nahmen auch in den darauf folgenden Tagen kein Ende. Diejenigen, die nicht im Krankenhaus blieben, wurden in die Polizeikaserne Bolzaneto gebracht und dort weiter misshandelt. Erst nach vier Tagen kamen die Inhaftierten frei. Ein Richter hatte die Entlassung angeordnet, nachdem er festgestellt hatte, dass ihm keinerlei plausible Haftgründe vorlagen.

Trotzdem ermittelte die Staatsanwaltschaft zweieinhalb Jahre gegen Steffen und die anderen Betroffenen. Die Vorwürfe lauteten unter anderem Widerstand gegen die Staatsgewalt und Bildung der kriminellen Vereinigung „Black Block“. „Drei Jahre der Unsicherheit und der Desinformation“, sagt Steffen. „Und das, obwohl die wesentlichen Tatsachen schon unmittelbar nach der Haftentlassung offensichtlich waren.“ Vor vier Monaten erhielten sie dann den Brief, in dem stand, dass alle Verfahren eingestellt worden seien.

Doch für Steffen ist der Prozess noch lange nicht zu Ende. Zum Vorprozess gegen die 29 angeklagten Polizisten will Steffen in diesen Tagen nach Genua fahren, um dem Auftakt beizuwohnen. Für ihn ein zweischneidiges Schwert: Einerseits wertet er den Prozessauftakt als Etappensieg, weil es bis heute nur selten zu Verfahren gegen Polizisten gekommen sei. Andererseits ist er darüber verärgert, dass es drei Jahre dauerte, bis die schweren Misshandlungen juristisch aufgearbeitet werden. „Diese offensichtliche Verschleppungstaktik macht mich wütend und lässt für den künftigen Prozess Ähnliches befürchten“, so Steffen.

Bei dem Vorprozess, der auf 30 Verhandlungstage angesetzt ist, wird es nach Angaben seiner Anwältin Eva Lindenmaier zunächst nur um die formale Frage gehen, ob es überhaupt zu einer Hauptverhandlung kommen wird. Der eigentliche Prozess könnte frühestens Anfang 2005 beginnen. Bis zum Urteil können dann noch mal sieben Jahre vergehen. Aber Steffen will hartnäckig bleiben. FELIX LEE