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Archiv-Artikel

Teufel in Gesundheitsdetails

Wie viel Arztgebühr zahlen Sozialhilfeempfänger? Wie wird der Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Kassen aussehen? Die „Eckpunkte“ der Gesundheitsreform lassen sehr viele Fragen offen. Kritik ist weiter höchst unerwünscht

aus Berlin ULRIKE WINKELMANN

Wer jetzt noch mault, ist zu spät. Protest gegen den Fünf-Parteien-Entwurf zur Gesundheitsreform lässt die Gesundheitsministerin nicht mehr gelten. „Die Kritiker hätten sich bei den Konsensgesprächen melden müssen. Die Reform ist von allen Parteien abgesegnet und kommt auch – so wie sie ist – zum 1. Januar 2004“, verkündete Ulla Schmidt (SPD) gestern in ihrem Heimatblatt Aachener Nachrichten.

Diese Haltung ist insofern bemerkenswert, als die Verhandlungen zwischen SPD, CDU, CSU, Grünen und FDP vom 4. bis zum 21. Juli unter größter Geheimhaltung stattfanden. Alle Beschlüsse, die durchsickerten, wurden stante pede dementiert. Skeptiker konnten also nur ins Mutmaßliche hineinkritisieren.

Diese Kommunikationsweise gedenkt die große Gesundheitskoalition jedoch fortzusetzen. Sie nennt das „neuen Politikstil“ oder, in den Worten des Unions-Verhandlungsführers Horst Seehofer (CSU), „dass man nicht schwätzt, sondern sitzt und handelt“. Nachdem nun die „Eckpunkte der Konsensverhandlungen zur Gesundheitsreform“ seit Montag offiziell vorliegen, werden Einwände wiederum abgewehrt: Man möge doch bitte den Gesetzentwurf abwarten.

Und für den werden noch viele, viele Teufel aus den Details geholt werden. „Wir müssen das noch rechtlich ausloten“, lautet etwa die Antwort von Schmidts Staatssekretär Klaus Theo Schröder auf die Frage, wie die Belastung von Sozialhilfeempfängern durch Arztgebühr und Medikamentenzuzahlung aussehen soll. Grundsätzlich sollen auch alle, die staatliche Unterstützungsleistungen erhalten, in Zukunft mit maximal zwei Prozent ihres Bruttoeinkommens für Krankheitskosten aufkommen. Ob jedoch von ihnen statt der regulären 10-Euro-Gebühr für Arztbesuch, Krankenhaustag und Medikamente nur eine 1-Euro-Gebühr erwartet wird, oder mehr oder weniger – für die Betroffenen ist das so beunruhigend wie für die Politiker unklar.

Überhaupt, die Arztgebühr: Nein, bar auf den Tresen gelegt und von den Ärzten in einem Schatzkästlein gesammelt werden soll sie nicht. Gedacht ist an elektronischen Einzug. Aber wird die Gebühr dann nicht erst mit der neuen Gesundheitskarte organisierbar? „Ja, schon“, gibt ein Ministerialer zu: „Ein System mit Zuzahlungseinzug ist schwierig zu organisieren, und eigentlich nur rein elektronisch möglich.“ Aha. Aber die Chipkarte, eine Weiterentwicklung der jetzigen Plastik-Versichertenkarte, kommt doch erst 2006? Nun, dann gibt’s eben eine Übergangslösung. Klingt das nicht nach Papierkrieg? „Von nichts kommt nichts“, sagt Schmidt dazu. Wer Zuzahlungen wolle, dürfe die Bürokratie nicht scheuen.

„Völlig offen“ ist, wie der Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Kassen um die Zahnersatz-Extraversicherung aussehen wird. Werden die Versicherten zwischen den Kassenarten wechseln können? Weiß man nicht. Auf jeden Fall werden die Privatkassen ihr Angebot von 7,50 Euro pro Monat und Gebiss nicht aufrechterhalten. Das galt für den Fall, dass sie alle 72 Millionen gesetzlich Versicherten zugespielt bekämen. Nun werden sie neu – und höher – kalkulieren.

Die Ministerin setzt darauf, dass der Wettbewerb beweisen wird, dass die gesetzlichen Kassen mehr Leistung für weniger Geld versichern können als die privaten. Die CDU will jedoch, dass die Privatversicherungen so viele neue Kunden wie möglich bekommen. Entsprechend schwierig dürfte hier die Einigung über die Wettbewerbsbedingungen werden.

Offen ist auch, ob die Krankenkassen und die Ärzte-Vereinigungen es tatsächlich schaffen werden, die „integrierte Versorgung“ endlich umzusetzen. „Wir haben nun aber auch die letzten Steine dafür aus dem Weg geräumt“, sagt Staatssekretär Schröder. Dank der „integrierten Versorgung“ könnten etwa Krebspatienten auch im Krankenhaus ambulant von den Ärzten behandelt werden, die sie kennen, und müssten dazu nicht jedes Mal eingewiesen werden. Die Notwendigkeit der Verzahnung von ambulantem und stationärem Sektor ist seit Jahrzehnten unbestritten, scheiterte jedoch an Vergütung, Verwaltung und mangelndem Willen von Kassen und Ärzten.

Zwanzig Seiten haben die „Eckpunkte“ der Gesundheitskoalitionäre – das Vielfache wird das Gesetz umfassen, das ab jetzt im Schmidt-Ministerium erarbeitet wird. Es soll am 25. August von den Fraktionsvorständen abgesegnet und am 11. September erstmals im Bundestag verlesen werden. So ungeklärt viele Details sind – an den „Eckpunkten“ wird sich nichts mehr ändern.