: Museum in der Dunkelkammer
Das Museum für Fotografie eröffnet in der Jebensstraße seine Räume direkt über Helmut Newtons Inszenierungen nackter Schönheiten. Doch die „Einstiegsdroge Newton“ ist kein Garant für den Erfolg des neuen Museums, dessen Wände bröckeln
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Es gibt einen Irrtum, dem trotz aller Offenkundigkeit viele aufsitzen: Wo eine Imbissbude funktioniert, muss eine zweite auch laufen. Wenn es dann doch schief geht, wundert man sich. So oder so ähnlich hat man sich bei den Berliner Museen die Sache mit dem neuen Museum für Fotografie am Bahnhof Zoologischer Garten gedacht. Unten in der Jebensstraße Nummer 2 – im großen Foyer und im ersten Obergeschoss – hängt das Werk von Helmut Newton, und im Obergeschoss – in einer großen Ruinenhalle und einem kleinen Kabinett daneben – wird nun das Fotomuseum untergebracht. Newton sieht Peter-Klaus Schuster, Direktor der Staatlichen Museen, denn auch als „Einstiegsdroge“ für das Fotomuseum im Dachgeschoss. Ob jemand den Weg und das Interesse findet, nach den Porträts en masse und schönen Frauenakten en gros noch über die Stiege ins Berliner Fotomuseum zu steigen, muss man abwarten – zumal wenn es wie derzeit noch als Ruine daherkommt.
Auch zur Imbissbudentheorie gehört, dass Berlin seit Jahren um die Einrichtung und den Aufbau eines Fotomuseums kämpft. Schusters Vorgänger bei den Museen, Wolf-Dieter Dube, hatte sich ebenso erfolglos dafür engagiert wie Freundeskreise oder Initiativen aus dem Kreis der Berlinischen Galerie, des Museums für Kunst, Architektur – und Fotografie.
Dass nun Schuster nach Jahre dauernden Anläufen den Bau an der Charlottenburger Jebensstraße mit dem Museum nutzt und dieses zugleich als Anhängsel von Newtons Nacktmotor begreift, ist nicht nur ein Erfolg, sondern auch gefährlich, macht man sich doch so zur Marginalie des großen Fotomeisters.
Raimund Kummers Werk „On Sculpture“, die erste Ausstellung des Museums für Fotografie mit Arbeiten über fotografierte Alltagsgegenstände in auratisch verfremdeten Raumsituationen und sein „Fiji Bitter/Krummer Deutscher“ – ein alter Stahlträger als Fotountergrund –, steigert ungewollt diesen Second-Class-Eindruck, ist doch seine spektakuläre Installation eigens für den Kontext des Museums entwickelt worden: der Stahlträger aus einem Abrisshaus in Kreuzberg wurde Projektionsfläche seiner dokumentierten Geschichte. Über den Träger laufen Bilder des Hauses, des Abrisses, seines Fundortes und seiner Kunstwerdung.
Im Kontext des Raumes in der Jebensstraße funktioniert das, weil die Ausstellungshalle – der einstige „Kaisersaal“ – einer Ruine gleicht. Das Gebäude Jebensstraße 2 war 1908 bis 1909 nach Plänen von Heino Schmieden und Julius Boethke errichtet worden. Der neoklassizistische Bau diente ursprünglich als Kasino des „Offizierscorps der Landwehr-Inspektion Berlin e. V.“ und beherbergte mehrere Festsäle, Gästezimmer, ein Restaurant und sogar Kegelbahnen und einen Schießstand. Repräsentativster Raum war der Kaisersaal im zweiten Obergeschoss, ein Festsaal von 665 Quadratmeter Fläche, mit über 11 Meter Raumhöhe, der im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurde.
Mit der Wiedereröffnung des Gebäudes als Museum für Newtons Fotografien und für die Berliner Fotokunst wird zwar ein neuer Kunstraum geschaffen. Bis zur museumsgerechten Instandsetzung der Backsteinwände und dem sichtbaren Dachstuhl werden die Wechselausstellungen aber den Part des Aschenputtels spielen. Ob das Fotomuseum diesen Part überlebt, bis einmal die Räumlichkeiten umgebaut sind für Ausstellungssäle und Archivräume, Studien- und Lesesäle mit Präsenzbibliothek, einer Restaurierungswerkstatt und einer museumspädagogischen Abteilung mit Demonstrationsfotolabor, ist zwar zu hoffen, allein seine Bedeutung im Schatten Newtons gewinnt in der geplanten mehrjährigen Umbauzeit wenig.
Es hätte dem Berliner Fotomuseum gut getan, sich im Ort und Konzept von Newton und dessen Singularität zu unterscheiden. Ruinöse Hallen – und bessere – wie den Kaisersaal gibt es in der Stadt wie Sand am Meer. Doch hier zeigt sich, wie an anderen kulturellen Orten in der Stadt auch, dass Schuster keinen eigenen Weg geht. Er heftet seine Museen an große Namen und Zugpferde, in der Hoffnung, der Motor zieht.
Doch das tut er nicht einfach so. Während etwa in die MoMA-Schau in der Neuen Nationalgalerie die Massen weiter strömen, bleibt der Rest des Kulturforums fast verwaist. Und auch die Newton-Bilder verlängern nicht von sich aus den Weg ins dunkle Obergeschoss, wo ein dunkler Raum mit einem Stahlträger den Besucher des neuen Museums für Fotografie empfängt.