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Archiv-Artikel

Der Bürgermeister der Schmerzen

Ole von Beust steht auf dem Höhepunkt seiner Macht. Und macht, was er am besten kann: Politik der hanseatischen Symbole. Doch der Regierungschef wird zunehmend dünnhäutig, denn absolute Mehrheit bedeutet auch alleinige Verantwortlichkeit

Der Geschröpften gibt es reichlich, getreu der machiavellistischen Glaubenslehre, dass die Grausamkeiten zuerst zu verüben sind.

von Sven-Michael Veit

Souverän war das nicht. Kiebig war der Mann, der vor zehn Tagen in der Bürgerschaft das Wort ergriff, um die rot-grüne Opposition haltloser Vorwürfe zu zeihen, beleidigt wirkte er, der sich über Jahre mit rhetorischem Florett den Ruf eines geschliffenen Polemikers erstritten hatte, mit schneidender Schärfe zerschnitt er den bis dahin unaufgeregten Kammerton der Generaldebatte: Dünnhäutig ist Ole von Beust geworden.

Auf dem Höhepunkt seiner Macht beginnt der Erste Bürgermeister des Stadtstaats an der Elbe Auen, Nerven zu zeigen. In zweieinhalbjähriger Amtszeit hatte er auf Kosten seiner Koalitionspartner den Hanseaten gegeben, hatte sich weitgehend auf das konzentriert, was er zu beherrschen glaubt: Symbolik. Wogen der Sympathie waren sein Lohn, die Ernennung zum Bürgermeister der Herzen und die absolute Mehrheit. Eben jener rauschende Sieg aber sorgt nun für Ernüchterung. Ausreden, Aussitzen und Schuldige aussortieren genügt fortan nicht mehr – verantwortlich in Oleburg ist Olemeister ganz allein.

Und deshalb lässt er, gestützt auf seinen getreuen Finanzsenator Wolfgang Peiner, zunächst Zahltage in Serie verhängen. Rückbau des Bildungssystems, Abbau im Sozialbereich, Repression in der Innen- und Justizpolitik sind die Leitbilder dieser Legislaturperiode, deren Verwirklichung vonstatten gehen soll im Schatten des Leuchturms Wachsende Stadt. Der knallharte Sparkurs, den die beiden Konsolidierung nennen, wird durch Verkaufen öffentlichen Vermögens nicht gemildert, und der gerade entworfene Doppelhaushalt ist in seiner zwiefachen Funktion nahezu genial: Er macht die KollegInnen Ressortchefs für gleich zwei Jahre ebenso mundtot wie die lästigen Kritikaster aus Betroffenen, Opposition und Interessenverbänden, die ansonsten Jahr für Jahr ihre abweichenden Ansichten kundtun. Und der Geschröpften gibt es reichlich, getreu der machiavellistischen Glaubenslehre, dass die Grausamkeiten zuerst zu verüben sind. Linderung vom Bürgermeister der Schmerzen gibt es erst vor dem nächsten Wahltag.

Denn sein polittaktisches Gespür ist Ole von Beust keineswegs abhanden gekommen. Die (irgendwie doch unschöne) Botschaft von der pekuniären Schwindsucht zu verkünden, ist des Peiners Sache, die (irgendwie doch verheißungsvolle) Einigung mit den Sozialdemokraten auf einen Notausgang aus dem Kita-Chaos zu proklamieren, übernimmt der Bürgermeister höchstselbst – jener nun auch schon 49-jährige Sunnyboy, der sich im Glanz von Bambis und Women‘s World Awards zu sonnen weiß, hingegen die Vereine in der vor Jahresfrist noch zur Sporthochburg erhobenen Event-City nunmehr zur Kasse bittet, dem angeblichen Bildungsschwerpunkt zum Hohn die Lernmittelfreiheit abschafft und Eintritt für die Vorschule erhebt oder seine Stellvertreterin die Schließung eines Frauenhauses zur Chance für misshandelte Frauen umdeuten lässt, „vermehrt in ihrer eigenen Häuslichkeit zu verbleiben“.

Ähnlich wie der SPD-Kanzler in der Hauptstadt glaubt der CDU-Bürgermeister in der Hansestadt, dass seine Politik ohne Alternative ist. Dass die WählerInnen das in vier Jahren auch glauben, ist so sicher nicht. Zur erneuten absoluten Mehrheit dürfte es kaum reichen, zumal das vom Volk verordnete neue Wahlrecht alles andere als Gemütlichkeit verheißt. Selbst bislang sichere Unionisten, die künftig in einem überschaubaren Hamburger Wahlkreis die Schließung der dortigen Grundschule zu erklären haben, könnten um des eigenen Mandates willen zu Widerworten neigen.

Mithin lässt der Polit-Profi bereits nach neuen Mehrheiten fahnden. Mit seinem Segen geht Schwarz-Grün in Altona und Harburg in die bezirkliche Experimentierphase, Poller und gar Bauwagen dürfen bleiben, wenn es nur der Sache frommt: Der Vision, Hamburg zu einer christdemokratischen Metropole von Weltrang zu machen, dem Traum, bei den Großen mitspielen zu dürfen.

Er sehe den Preis als Bestätigung dafür, „dass wir auf dem richtigen Weg sind“, freute sich von Beust am Mittwoch, als die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ihn ob seiner „Reformfreudigkeit“ pünktlich zum 100-Tage-Jubiläum im Rathaus als „Bürgermeister des Jahres“ auszeichnete. Besonders behage es ihm, lächelte der Geehrte, dass sein Senat für die „Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik gewürdigt“ würde: Unter seiner Regentschaft wurde die Arbeitsmarktförderung drastisch gekürzt, die Erwerbslosigkeit stieg stärker als im Bund.

Über der individuell dünnen Haut trägt Ole von Beust ein gesellschaftlich dickes Fell.