: „Wir brauchen die Nato – aber nicht zu sehr“, sagt Ulrike Guérot
Nato-Gipfel: Das Bündnis ist militärisch wichtig, doch bei der globalen Krisenbewältigung ist die EU viel entscheidender
taz: Am Wochenende treffen sich die Nato-Staaten zum Gipfel in Istanbul. Wer braucht die Nato noch?
Ulrike Guérot: Wir brauchen sie alle noch – Europäer und USA. Die Europäer brauchen die Nato jedenfalls um Kriseneinsätze wie in Bosnien und Afghanistan militärisch-technologisch zu bewältigen.
Und die USA? Nach dem 11. 9. hat die Nato zum ersten und einzigen Mal den Verteidigungsfall erklärt – doch die USA wollten von der Nato in Afghanistan nichts wissen. Ist die Nato nicht einfach überflüssig?
Das war bedingt durch die spezielle Politik der Bush-Regierung, die heute ja auch viele US-Amerikaner kritisieren. Bush hat die Nato durch die Koalition der Willigen ersetzt. Die Europäer haben sich über diese Arroganz der USA sehr geärgert. Die USA begreifen heute, dass ihnen diese Strategie nichts genutzt hat.
Heute wollen die Vereinigten Staaten, dass die Nato im Irak hilft. Die Nato soll als Reserve dienen, wenn im Kampf der USA gegen al-Qaida oder die Achse des Bösen was schief geht. Reicht das als Sinnstiftung für das Bündnis?
Es gibt US-Bestrebungen, die Nato im Irak einzusetzen – aber Deutschland, Frankreich und die Türkei sind bisher verständlicherweise dagegen. Darüber wird in Istanbul diskutiert – Ausgang ungewiss. Eine kleinere Rolle der Nato könnte im Irak ja sinnvoll sein. Die USA haben aber verstanden, dass ihr Konzept der Koalition der Willigen gescheitert ist. Sie wissen, dass ihnen der Legitimitätsbonus, den ein Einsatz der Nato schafft, fehlt, wenn sie nur einzelne Alliierte aussuchen. Deshalb haben die USA ein Interesse zu der einheitlichen Nato zurückzukehren. Nach dem 11. 9. war ihnen die Nato, die ja größer geworden ist und in der das Prinzip der Einstimmigkeit gilt, zu kompliziert. Deshalb haben sie damals den einfachen Weg gewählt – aber das war gestern. Heute sind die Karten neu gemischt.
Die Nato ist ein Messinstrument, das die Temperatur im transatlantischen Verhältnis anzeigt?
Ja, durchaus.
Im Irakkrieg gehörten vor allem osteuropäische EU-Staaten zu Bushs Koalition der Willigen. Wird die politische Spaltung Europas dauerhaft sein?
Ich glaube eher nicht. Natürlich haben die Osteuropäer historisch gute Gründe, den USA zugeneigt zu sein. Das ist völlig unstrittig. Fragt sich, wie sich dies weiterentwickeln wird. Denn die Osteuropäer schätzen die Lage ein bisschen falsch ein, wenn sie EU und Nato parallel setzen – weil die EU – anders als die Nato – ein Staat im Werden ist. Deshalb wird die Integration der Staaten, der Verflechtung der Gesellschaften mit der EU in der tagtäglichen Politik voranschreiten.
Deshalb wird sich die Loyalität von den USA zur EU verschieben?
Vermutlich ja. Geld von der EU, Sicherheit von den USA – das funktioniert auf die Dauer nicht.
Was halten Sie von den Bemühungen um eine „EU-Armee“. Sind die aussichtslos?
Nein, nicht aussichtslos. Aber die Debatte über Nato und EU ist höchst problematisch. Da wird ja oft so getan, als könne man EU und Nato vergleichen. Das ist falsch. Die EU ist wie gesagt ein Staat im Werden, inklusive Euro und gemeinsamer Rechtsetzung, die Nato ein funktionales Bündnis. Dieser systemische Unterschied wird dauernd übersehen. Die EU ist keine internationale, sondern eine supranationale Institution. Sie haben also die USA auf der einen, die EU auf der anderen Seite – und die Nato ist das Bindeglied.
Was heißt das für die EU-Armee?
Ich glaube, wir brauchen eine eigene europäische Operationsfähigkeit. Die bekommen wir auch. Es gibt ja schon den Einsatz in Mazedonien und dem Kongo. Das wird mehr werden. Allerdings nur wenn die EU dafür mehr Geld ausgibt.
Ist das langfristige Ziel dabei die militärische Abkopplung der EU von der Nato?
Nein, das wäre nicht sinnvoll. Das muss und wird komplementär zur Nato organisiert werden. Alles andere schafft doppelte Strukturen und ist damit Geldverschwendung. Mit den USA militärisch konkurrieren zu wollen ist unsinnig.
Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer meint, dass die Nato für globale Stabilität im 21. Jahrhundert unentbehrlich bleiben wird. Zu Recht?
Ja, was das Militärische angeht – aber nur das. Die Nato hat sich nach 1990 erfolgreich vom Verteidigungsbündnis zum globalen Interventionsinstrument gewandelt. Das war wichtig und richtig. Aber es wäre unsinnig, wenn die Nato für einen erweiterten Sicherheitsbegriff zuständig würde. Denn zu dem sicherheitspolitischen Panorama gehören ja nicht nur Kriege, sondern vor allem Armut, Überbevölkerung, Unterentwicklung. In diesem Bereich – also allem, was mit soft power zu tun hat – kann und soll die Nato nichts beitragen – die EU aber sehr wohl.
Zum Beispiel?
Es geht um Handel, um law implementation in Palästina, um Geld als Druckmittel. Die EU kann dem Iran sagen: Weg mit dem angereicherten Uran – sonst gibt es Handelsbeschränkungen. Die EU kann Assoziierungsabkommen mit der Forderung nach Demokratie verbinden. Das kann die Nato nicht, zumindest nicht effektiv. Sie hat zu dieser Rolle keine demokratische Legitimation. Die Nato hat kein Parlament. Das ist, trotz der Demokratiedefizite der EU, der Unterschied. INTERVIEW: STEFAN REINECKE