: Der unendliche Kalte Krieg
aus Seoul und PanmunjomSVEN HANSEN
„Nur eine starke nationale Sicherheit kann den Frieden garantieren“ steht in Englisch und Koreanisch auf einem großen, blauen Transparent über dem Eingang zum Kriegsmuseum in Seoul. „Das Transparent haben wir vor zwei Jahren zum Besuch des früheren US-Präsidenten George Bush senior aufgehängt“, erzählt Museumskurator Hae Tae Chul. Bush habe bei seiner Rede hier auch betont, dass Südkorea seine Verteidigungsanstrengungen stärken müsse. „Ziel unseres Museums ist es, die Bürger über die Notwendigkeit einer starken Armee aufzuklären“, sagt Hae. Das sei die Lektion des Koreakrieges, der vor 50 Jahren mit einem Waffenstillstand endete, ohne dass je Frieden geschlossen wurde.
Das Museum auf dem Gelände des früheren Armeehauptquartiers im Stadtteil Yongsan zeigt das Leid der Südkoreaner während des Krieges, hat aber auch den Charakter einer Waffenschau. Beim Rundgang fällt auf, dass über die Hintergründe der koreanischen Teilung und des Krieges fast nichts zu sehen ist. Auch die nordkoreanischen Opfer der US-Flächenbombardements sind kein Thema.
Nordkorea hat am 25. Juni 1953 den Süden angegriffen, und der hat Dank US- und UNO-Hilfe widerstanden, lautet die einfache Botschaft. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte sei nicht das Ziel des Museums, räumt Kurator Hae bereitwillig ein. Das 1994 eingeweihte Museum untersteht dem Verteidigungsministerium. „Wir wollen unseren Helden Respekt bezeugen und vermitteln, dass der Frieden am besten mit einer starken Armee verteidigt werden kann“, sagt Hae. Der Kalte Krieg ist hier nicht vorbei.
Hae räumt ein, dass auch die Amerikaner im Vorfeld des Koreakrieges Fehler gemacht hätten. So verübelt er ihnen, dass sie 1949 aus Südkorea abgezogen seien. Dies hätte den Norden zum Angriff ermuntert, so Hae. Aber solche Kritik gehöre nicht ins Museum.
Dafür können die jährlich 1,5 Millionen Museumsbesucher im „Combat Experience“-Raum einen simulierten Stellungskrieg aus der letzten Kriegsphase erleben. Sie stehen zwischen mit Stacheldraht gesicherten Schützengräben in einem dunklen Raum. Im Vor- und Hintergrund liegen Soldatenpuppen mit Gewehren im Anschlag zwischen dem Müll der letzten Besuchergruppe. Erste Schüsse fallen, dann ertönen Maschinengewehrfeuer und Kanonendonner aus allen Richtungen. Grelle Blitze zucken, Rauch steigt auf, die Erde scheint zu beben. Der ohrenbetäubende Krach lässt einen instinktiv zusammenzucken und in Deckung gehen. „Wir konzentrieren uns hier auf Schlachtsituationen“, erklärt Hae zur Pädagogik des Museums. Im „War Games“-Video-Raum fühlen sich die Besucher dann nicht mehr hilflos. Hier können sie in Simulatoren Panzer fahren und schießen, Kampfhubschrauber fliegen oder mit elektronischen Maschinengewehren auf Feinde ballern, die über eine Leinwand laufen. „Dieser Raum ist für junge Leute die Hauptattraktion unseres Museums“, sagt der Kurator. Die wollten schließlich etwas erleben. Der Raum mit den elektronischen Kriegsspielen sei eingerichtet worden, um das Museum für Familien mit Kindern attraktiver zu machen. Der Krieg als moderne Freizeitgestaltung.
Paik Sun Yup verdankt dem Koreakrieg seine Karriere. Der 82-jährige ehemalige General ist Südkoreas berühmtester Veteran. Als die Nordkoreaner angriffen, war er an der Grenze am 38. Breitengrad Divisionskommandant. Seine Truppen wurden bis vor die südliche Stadt Pusan zurückgedrängt, dann konnten sie mit US-Hilfe in die Offensive gehen. „Der Koreakrieg bestand eigentlich aus zwei Kriegen“, meint Paik. „Kim Il Sungs Truppen haben wir vor Pusan besiegt, doch als wir kurz vor dem Sieg standen, schickte Mao Tse-tung eine Million so genannter Freiwilliger. Doch das waren keine Freiwilligen“, sagt Paik. Ihn scheint noch immer zu ärgern, dass Mao ihm den Triumph vermasselte.
Paik stieg im Krieg zum Generalstabschef auf. Heute leitet er im vierten Stock des Kriegsmuseums das Büro des „Komitees zur Erinnerung an den 50. Jahrestag des Koreakrieges“. Für den Greis sind es drei intensive Jahre, die am 25. Juni 2000 mit der 50. Wiederkehr des Kriegsausbruches begannen und jetzt am 27. Juli mit dem 50. Jahrestag des Waffenstillstands enden. „Die Verhandlungen zogen sich damals wegen der Frage des Gefangenaustauschs lange hin“, erinnert sich Paik. „Wir wissen nicht, was mit vielen unserer Soldaten passierte, die im Norden gefangen wurden. Unsere Gefangenen schickten wir zurück, wenn sie wollten. Unter Vermittlung indischer Truppen konnten sie auch in Südkorea bleiben oder nach Taiwan gehen.“
Im Waffenstillstandsort Panmunjom in der Demilitarisierten Zone am 38. Breitengrad 60 Kilometer nördlich von Seoul sagt der US-Offizier Brian Davis: „Am 27. Juli erwarten wir hier 2.500 Veteranen aus allen 16 Staaten, die auf der Seite des Südens kämpften.“ Besuchern des „Joint Security Area“ erklärt Davis die in UNO-Blau gestrichenen Baracken aus den 50er-Jahren, die je zur Hälfte auf nördlichem und südlichem Territorium stehen und für Verhandlungen genutzt werden. „Unsere Veteranen hassen alle Nordkoreaner, deshalb mache ich mir wenig Sorgen, dass sie überlaufen“, sagt Davis, der einer der 37.000 in Südkorea stationierten GIs ist und aus der New Yorker Bronx stammt. „Würde die Gedenkveranstaltung dagegen auf der nördlichen Seite stattfinden, wäre ich mir nicht so sicher. Wir sind hier verpflichtet, Überläufer aus dem Norden zu schützen.“
1984 kam es zu einer Schießerei, als ein russischer Besucher Panmunjoms vom Norden in den Süden überlief und nordkoreanische Soldaten die Verfolgung aufnahmen. Die Flucht gelang, doch ein Süd- und drei Nordkoreaner starben. „Seit 50 Jahren sind wir hier 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag in höchster Alarmbereitschaft“, sagt Davis. „Wir haben eine echte Mission hier. Wir sehen dem Feind jeden Tag ins Auge.“ Er deutet auf einen nordkoreanischen Soldaten auf der anderen Seite und sagt in breitestem Amerikanisch: „It’s a real deal every day.“ Fast 150.000 Besucher kommen jährlich zum Waffenstillstandsort Panmunjom. „Wir wollen den Besuchern hier vermitteln, dass es noch eine Bedrohung gibt“, sagt Davis.
Von einer Bedrohung ist auch Nordkorea überzeugt. In der Hauptstadt Pjöngjang lässt an diesem Tag das kommunistische Regime über eine Million Menschen voll „unbändigem Hass und Groll gegen den US-Imperialismus“ demonstrieren, wie die amtliche Nachrichtenagentur KCNA berichtet. Nordkorea habe keine andere Wahl als seine Selbstverteidigung durch nukleare Abschreckung zu stärken, wird ein Redner zitiert. Tage später droht Pjöngjang mit „starker und gnadenloser Vergeltung“ sowie der Aufkündigung des Waffenstillstands, sollten die USA eine Blockade gegen Nordkorea verhängen.
Park Chang Bong beeindruckt das wenig. „Wir haben eigentlich recht stabile Beziehungen mit dem Norden“, sagt der stellvertretende Staatsekretär im Vereinigungsministerium in Seoul. „Das Verhältnis zu Nordkorea ist bei weitem nicht so instabil, wie es international berichtet wird.“ So liege der innerkoreanische Handel in diesem Jahr bereits 20 bis 30 Prozent über dem des Vorjahres. Es gebe weitere Familientreffen, und Ende Juni sei im nördlichen Kaesong der Grundstein für einen Industriepark südlicher Firmen gelegt worden.
Der Norden werde noch vernünftig und sein Nuklearprogramm beenden, glaubt Park. „Letztlich geht es Kim Jong Il doch um das Überleben seines Regimes. Dies kann er mit seiner Nuklearpolitik aber nicht garantieren, sie macht alles nur sehr kompliziert.“ Der 50. Jahrestag des Waffenstillstands werde die engen Bande des Südens zu den USA unterstreichen. Die seien trotz Kritik in der Bevölkerung an den USA felsenfest. Südkorea müsse aber seine Verteidigungsausgaben erhöhen. „Wir müssen zuerst unsere Sicherheit garantieren“, sagt er. Das seien defensive Maßnahmen.
„Vertreibt Kim Jong Il aus Nordkorea!“, fordert dagegen unverblümt ein Redner in Militäruniform auf Seouls Rathausplatz. 50.000 Mitglieder konservativer und religiöser Gruppen, von Bürgerwehren und Veteranenverbänden gedenken hier des Krieges. Südkoreanische, amerikanische und vereinzelt UNO-Fahnen schwenkend, beschwören sie mit viel „Halleluja“ die Freundschaft zu den USA. Zugleich greifen Redner jene Südkoreaner scharf an, die es wagen, Washington zu kritisieren. Wie könne es sein, dass hunderttausende Südkoreaner zweier Schulmädchen gedenken, die bei einem Unfall von einem US-Militärfahrzeug getötet wurden, aber kaum jemand an die sechs Marinesoldaten denkt, die vor einem Jahr bei einem Seegefecht von Nordkoreanern getötet wurden.
„Ich habe heute mehr Angst als vor einem Jahr“, sagt der 75-jährige Veteran Jung Soo Ahm zur Krise um Nordkoreas Atomprogramm. Im vergangenen Oktober berichteten US-Diplomaten, Nordkorea habe die Existenz des Programms eingeräumt. Seitdem stoppten die USA ihre Öllieferungen, während Pjöngjang Inspektoren der internationalen Atomenergiebehörde des Landes verwies und den Atomwaffensperrvertrag kündigte. „Die Kriegswahrscheinlichkeit ist 50 Prozent“, glaubt Jung. Nordkoreas Machthaber Kim Jong Il sei zum Einsatz von Atomwaffen bereit, um sich an der Macht zu halten. „Und ich bin sicher, dass er Atomwaffen hat“, sagt Jung.
Der Soziologieprofessor Kang Jeong Koo ist sich dessen überhaupt nicht sicher. Dafür weiß er genau, dass die USA am Koreakrieg die Hauptschuld tragen. „Die USA haben die Teilung Koreas intitiiert, die Sowjetunion ist nur gefolgt“, meint Kang, der an Seouls buddhistischer Dongguk-Universität lehrt. Denn ohne Intervention der US-Militärregierung hätten nach dem Abzug der Japaner in ganz Korea gemäßigte linke Führer die Macht übernommen. „Korea wäre ein geeintes demokratisch-sozialistisches Land geworden, das heute anders aussähe als Nordkorea“, glaubt Kang. Und ohne Eingreifen der USA wäre Korea 1950 innerhalb von einem Monat nach Kriegsausbruch vereinigt gewesen. Kang macht die USA auch für die Diktatur in Nordkorea verantwortlich. Denn erst die US-Intervention hätte zu einer Polarisierung geführt, die dem Hardliner Kim Il Sung ermöglichte, sich gegen gemäßigtere Kräfte durchzusetzen. Kang sieht gewisse Parallelen zu Kuba, das ohne US-Embargo nach Ansicht vieler Beobachter wohl auch offener wäre.
„Veteranen haben schon meine Verhaftung gefordert“, sagt Kang. „Wegen des Kalten Krieges sind die Koreaner bisher nicht frei gewesen, den Koreakrieg wirklich zu studieren. Für alle Fragen gibt es hier Standardantworten. Wer andere Antworten hat, verstieß bisher gegen die nationale Sicherheit und gehörte mundtot gemacht.“ Dass Kang sich heute äußern kann, zeugt vom demokratischen Fortschritt Südkoreas. Kang nennt es als sein Ziel, in Korea das „Reservat des Kalten Krieges“, wie er es nennt, zu zerstören.
Wie schwer dies ist, hat Chang Koo Doo erfahren, der Sprecher des No-Gun-Ri-Komitees. Sein Vater, der beim No-Gun-Ri-Massaker amerikanischer Truppen im Juli 1950 zwei Geschwister verlor, forderte schon 1960 eine Entschädigung. Doch dann kam die Militärdiktatur, und damit war Kritik an den USA tabu. Als sich Chang und sein Vater ab 1990 wieder für eine Untersuchung einsetzten, stießen sie auf Ablehnung. Erst als 1999 die US-Nachrichtenagentur Associated Press mehrfach über das Massaker berichtete, wurde es auch für Koreas konservative Medien zum Thema.
Eine von Seoul und Washington eingeleitete Untersuchung bestätigte schließlich, dass US-Truppen mehrere hundert Flüchtlinge erschossen, die unter der Eisenbahnbrücke von No Gun Ri Schutz gesucht hatten. Als eine seiner letzten Amtshandlungen entschuldigte sich US-Präsident Bill Clinton im Januar 2001 bei den Opfern. Dennoch ist Chang verbittert: „Es hat noch bis 60 weitere Massaker gegeben, die nicht untersucht wurden. Solange die USA diese Massaker nicht untersuchen, ist die Gefahr groß, dass sich so etwas wiederholt.“
Auch Chang hat heute wieder mehr Angst vor einem Krieg, obwohl seit 1990 die beiden Koreas schon mehrfach kurz vor einem Krieg standen. Zwar fürchtet Chang auch Nordkoreas Waffen, die schon in konventioneller Form im grenznahen Seoul viele Opfer fordern würden. Doch mehr Angst macht ihm momentan der US-Präsident. „George W. Bush hat sich schon im Irakkrieg über das Völkerrecht hinweggesetzt“, sagt Chang.
Der Politologieprofessor Lee Chung Min von der renommierten Yonsei-Universität, der sich selbst als konservativ bezeichnet, sieht eine tiefe Spaltung in Südkoreas Bevölkerung in ideologischer Hinsicht wie unter den Generationen: „Auf der einen Seite gibt es hier eine wachsende Unzufriedenheit mit der Bush-Regierung, weil sie eine zunehmend harte Linie gegenüber Nordkorea zu vertreten scheint, auf der anderen Seite sehen die Älteren und Konservativen Bush gerade als einzigen Garanten für eine nukleare Abrüstung Nordkoreas.“
Laut Lee seien die Südkoreaner heute selbstbewusster und ihr Bedrohungsgefühl letztlich geringer als früher. „Nordkorea ist wie Ruanda mit Atomwaffen“, sagt er. Pjöngjang habe zwar die Fähigkeit, einen Blitzkrieg zu führen. Es werde aber eine längere Auseinandersetzung nicht gewinnen können, weil ihm dazu die wirtschaftliche Basis fehle. Deshalb habe die Angst vor Nordkorea abgenommen. „Viele Südkoreaner denken auch, selbst wenn Nordkorea wirklich Atomwaffen habe, so werde es sie schon nicht gegen Koreaner einsetzen“, sagt Lee. Er kritisiert, dass die vom früheren Präsidenten Kim Dae Jung eingeleitete Entspannungspolitik Menschenrechtskritik am Norden tabuisierte.
Nordkorea sieht Lee Chung Min in einem unauflösbaren Dilemma: „Entweder das Regime überlebt, dann muss der Staat zugrunde gehen wie es jetzt ist, oder der Staat überlebt, dann muss das Regime zugrunde gehen.“ Bis dahin ist ein Ende von Koreas Kaltem Krieg nicht in Sicht.