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Archiv-Artikel

„Wunden werden immer aufgerissen“

Jean-Christophe Ammann sagt, eine Ausstellungshalle ist der richtige Ort für eine angemessene Debatte über die RAF

taz: Herr Ammann, Hinterbliebene der Opfer, konservative Medien und Politiker skandalisieren die geplante Ausstellung der Kunst-Werke zur Geschichte der RAF. Ist der Verdacht einer Ideologisierung heute überhaupt noch gerechtfertigt?

Jean-Christophe Ammann: Das würde ich niemals sagen. Wenn in der Ausstellung die Geschichte der RAF „ordentlich“ aufgearbeitet wird – und das setze ich voraus–, dann ist das ein notwendiger Beitrag zu einem tragischen Moment in der deutschen Geschichte.

Warum wird versucht, diese Notwendigkeit zu delegitimieren und diese RAF-Rezeption zu verhindern?

Das ist unverständlich. Zwar befürchten die Betroffenen, dass sie diskreditiert werden. Aber nach der Lektion der Wehrmachtsausstellung über die Verbrechen an der Ostfront bestehen objektive Kriterien, die hilfreich und zugleich der Maßstab für ein Konzept sind.

Wie wichtig ist eine historische und künstlerische Auseinandersetzung mit der RAF? Dürfen Terroristen eine Ausstellung kriegen?

Das Thema hat doch die ganze Bundesrepublik beschäftigt und zum Teil in Angst und Terror versetzt. Die RAF selbst hat aus einem falschen Geschichtsverständnis heraus gehandelt. Das waren Irrläufer. Darüber kann man nicht hinweggehen, als wäre es nicht passiert oder nur einseitig erklärbar.

Wie stellt man eine Geschichte der RAF aus?

Es ist ganz wichtig: Angesichts der Entpolitisierung der jungen Menschen heute glaube ich, dass diese erst einmal durch ein Konzept erfahren müssen, was es eigentlich bedeutet, ideologisiert worden zu sein. Die Bedeutung von Ideologien und ihre Auswirkungen – und ihre unendlich vielen Opfer – ist ein Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Können das nicht auch Dokumentationen leisten? Welche zusätzlichen Aspekte reflektiert eine Ausstellung?

Wenn die Generation heute derart Politik missachtet, kann ich mit dem Thema nicht nur in eine gesellschaftspolitische Institution gehen. Eine Ausstellungshalle ist gewissermaßen ein anderer, auch neutralerer Ort, an dem man eher Akzeptanz für das Thema gewinnen kann. Ich kenne zwar das Konzept nicht, aber der Ausgangspunkt dürfte wohl Gerhard Richters Zyklus „October 18, 1977“ sein und die künstlerische Auseinandersetzung danach. Und das geht weder in Richtung ideologisches Fahrwasser noch befördert sie Legendenbildung.

Sie haben den Zyklus in Frankfurt ausgestellt. Wie stark war der politische Gegenwind damals?

Das hat damals nicht nur Erstaunen ausgelöst. Im Magistrat der Stadt Frankfurt wurde ich sogar als Sympathisant der RAF gehandelt.

Wie wurden die Stammheim-Bilder diskutiert?

Als die Bilder zum ersten Mal gezeigt wurden, war das ein Schock. Zehn Jahre nach Stammheim bluteten noch die Wunden, die waren nicht vernarbt. Wir haben unendlich viele Führungen gemacht. Es brauchte eine regelrechte Vermittlungsoffensive des Museums und des Künstlers. Richter hat mitgeholfen, indem er fragt: „Warum muss eine Generation so viel Leid erleiden, Leid anderen Menschen zufügen, indem sie immer mit dem Kopf durch die Wand will.“ Richter war ein Verzweifelter, aber der Einzige, der das in seinen Arbeiten darstellen konnte. Der Zyklus ist ein Lamento über eine Generation. Für mich ist dieses Werk eine Katharsis, entmythologisierend und ein wesentlicher Beitrag zum Verständnis der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Glauben Sie, die jetzige Skandalisierung bewirkt, dass nicht nur die Kunst-Werke, sondern andere Museen auch mit dem Thema vorsichtiger umgehen?

Solange Menschen leben, gibt es immer Befindlichkeiten, da werden Wunden aufgerissen, das ist weniger politisch, sondern emotional begründet. Ein Museum, eine Ausstellung muss das aushalten. Es heißt doch: Angriff ist die beste Verteidigung. Die Kunst-Werke müssen den Konflikt suchen und das Konzept offensiv vermitteln – und zwar von kompetentester Seite.

INTERVIEW: ROLF LAUTENSCHLÄGER