: „Gewalt gehört zum HipHop“
Einst hatten einheimische Rapper das Image von guten Schwiegersöhnen. Doch nun wird die Berliner Szene brutaler, meint der Treptower Sozialarbeiter Olaf Kessler. Und sie bekommt Zuwachs von rechts
INTERVIEW PLUTONIA PLARRE
taz: Herr Kessler, die bluttriefenden, sexistischen Raps auf dem CD-Markt erfüllen Sie mit großer Sorge. Warum?
Olaf Kessler: Die Kids verstehen nicht, dass das, was sie da hören, ein Battle Rap [verbaler Schlagabtausch; d. Red.] ist. Sie nehmen das ernst, weil ihnen das Wissen über HipHop fehlt und sie keinen wirklichen Bezug zu der Szene haben.
„Ich schlachte dich ab wie ’ne Kuh / und schmeiß deine Leiche in den Atlantik …“ Das soll jemand für bare Münze nehmen?
Ich kann hier nur für meinen „Sozialraum“ in Treptow reden. Bis vor zwei Jahren assoziierte man hier deutschen Rap mit Fanta 4, Mc Renee und anderen Schwiegersöhnen. Irgendwann tauchten Tapes von Mc Bastard, MOR und der Sekte auf. Das waren keine abgehobenen Stars, sondern Berliner, die im Westteil der Stadt, sozusagen um die Ecke wohnten. Die reimten über Schießen, Stechen, Hauen, Kiffen und Ficken. Die Kids hier fanden das cool. 14-Jährige gründeten Crews, begannen zu sprühen. Plötzlich war man richtig krass drauf.
Aus was für Elternhäusern kommen die Kids?
Es ist das ganze Spektrum – vom Hauptschüler über den Realschüler bis zum Gymnasiasten. Das Klischee vom arbeitslosen, perspektivlosen Jugendlichen aus zerrütteten Verhältnissen trifft hier vielfach nicht zu. Die Probleme kommen meist nach den ersten schweren Straftaten.
Wo liegt nun das Problem?
Das Problem ist, dass die Musik aus Kreuzberg, Neukölln und dem Märkischen Viertel kommt und von Leuten mit einem ganz anderen sozialen Hintergrund gemacht wird. Da passt die Biografie der Kids hier in Treptow nicht drauf, also wird sie passend gemacht. Nach dem Motto: Ich bin zwar kein gebürtiger Türke, aber ich kann mir ein Messer kaufen.
Was ist die Folge?
Die Tracks werden häufig als Legitimation für Gewalttaten herangezogen. Gewalt ist etwas allgemein Gültiges. Damit kann man sich zugehörig fühlen, auch wenn man nicht aus den klassisch sozialen Brennpunkten stammt, sondern eigentlich ein Stino, stinknomal ist.
Haben die Gewaltdelikte in Treptow denn zugenommen?
Gewalt gab es hier schon immer. Meist pseudopolitisch motiviert von rechts. Sie ist in der Vergangenheit entpersonalisiert worden. Es kann jeden treffen. Fälle wie jetzt, wo Kids aus der Nachbarschaft wegen Kleinigkeiten mit Messern aufeinander losgehen und sich lebensgefährlich verletzen, sind aber ein Novum. Die Taten werden in hohem Maße aus den Crews heraus begangen.
Wo ist der Unterschied zwischen einem brutalen Rap und einem Film, in dem gemordet wird?
HipHop ist eine Identität, ein „Lifestyle“, bei dem der Aspekt der Gewalt sehr ausgeprägt ist. Ähnlich war es auch mit dem rechten Mainstream. Ende der 90er haben im Ostteil der Stadt viele Kids Bomberjacken angezogen. Die hatten größtenteils überhaupt keinen Plan, was sie da eigentlich machen.
Sind Teile des rechten Mainstreams zum HipHop übergewechselt?
Durchaus. Der rechte Mainstream gilt nicht mehr als schick. Es gab zunehmend Probleme, auch mit der Polizei. Man fiel mit dem Outfit einfach überall unangenehm auf. Damit will ich aber nicht sagen, dass HipHop die gleichen Erwartungen bedient.
Jugendkulturen hat es immer gegeben. Was ist am HipHop anders?
Andere Kulturen haben durch Abgrenzung auf eine Veränderung der Gesellschaft gedrängt, hatten Zukunftsvisionen. Wenn ich Battle Rap höre, dann ist da nur Resignation. Ich komme mir vor, als lebte ich in einer Endzeitwelt: Nehmt noch schnell, was ihr kriegen könnt, bevor der ganze Laden zusammenbricht.
Fotohinweis: OLAF KESSLER, 33, ist Sozialarbeiter bei Out-reach, einem Projekt für mobile Jugendarbeit, und im Jugendcontainer Treptow-Köpenick tätig.
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