dämmernde männer etc. : Hans-Christoph Buch und die Frauen
Die Kirche ist leer
Endlich!, hatte ich neulich beim Lesen von Hans-Christoph Buchs schwarzseherischen Welt-Artikel „Big Sister“ gedacht, der rein rhetorisch fragt, ob ihr Weiblicherwerden der Literatur genutzt oder geschadet habe, endlich dämmert es wenigstens einem, wie es um seine Sache wirklich bestellt ist.
Lange Jahre schon steht mir bei den Auftritten wichtiger Autoren, wichtiger Kritiker, wichtiger Verleger – und alles, was sich wichtig dünkt im Literaturbetrieb, ist männlich – das immer gleiche Bild vor Augen. In der Zeit, in der ich meine Mutter noch zur Sonntagsmesse begleitete, fand ich es stets sehr komisch und bestürzend zugleich, wie sich der Pfarrer ständig nur an seine Brüder im Geiste wandte, sobald er vorgab, sich mit dem Standpunkt der heiligen römischen Kirche zu den großen moralischen Fragen einer mickrigen, miesen Zeit auseinander zu setzen. Denn auch mit Gottes Hilfe konnte ich beim besten Willen die Adressaten seiner Rede nicht erkennen: die Männer. Dagegen sah ich alte Frauen, die damit beschäftigt waren, noch ein „Gegrüßet seist du, Maria“ beten.
Merkwürdig, dachte ich immer, fällt ihm nicht auf, zu wem er spricht? Und, dachte ich, müsste er sich, wenn es ihm denn auffiele, nicht umbringen, bei der Verachtung, die er für die Anwesenden hegt? Bei der Erkenntnis, dass die, die ihm so wichtig sind, sich kaum an ihn und die große Institution Rom erinnern? Doch, ich habe tiefes Verständnis für die Schwermut Hans-Christoph Buchs. Wenigstens ihm geht auf – seine Kirche ist leer. Ja, die Männer bilden keine ästhetischen Gemeinden mehr, sie lesen keine Belletristik, keine Literatur, und sie gehen, so sie jung sind, das ist die letzte erhobene Erkenntnis, in keinem Fall ins Theater. Das alles ist seit Jahr und Tag bekannt – und ignoriert von den Stützen des Literatur- und Kulturbetriebs. In diesem Wegsehen liegt eine Entscheidung. Diese macht Buch und Anhang zu ähnlich tragikomischen Figuren, wie sie die Herren auf der Kanzel sind. Buch möchte sexy sein für seine Geschlechtsgenossen und ist es nicht. Das zuzugeben ist ihm peinlich. Denn bei seiner Wertschätzung seiner Compatriots, bei seiner Bewunderung der „Härte und Aggressivität des männlichen Über-Ichs“: hieße das nicht, die totale Bedeutungslosigkeit des Literaturbetriebes feststellen zu müssen?
Davor, so mag er sich gedacht haben, rettet mich nur der Schlag gegen die noch immer – aber bitte, wie lange noch? – Anwesenden. Ach, wäre er doch kein so konventioneller Kopf. Dann könnte er sich Kritik an seinen Kumpanen leisten und müsste nicht seine Leserinnen verachten; müsste nicht beschämt sein, wenn Figaro-Femme ein Interview mit ihm führt. In Frankreich, wie überall sonst, werden Gedichte, Erzählungen, Romane von Frauen gelesen, die, weil sie keine Urteilskraft besitzen, Hans-Christoph Buchs Heros James Joyce verlegten und, weil sie prüde sind, Henry Miller unterstützten.
BRIGITTE WERNEBURG