Über dem Boden schweben

Mädchen schwärmen für Patrice und das Haus der Kulturen auch. Hoch hinaus will das ambitionierte „popdeurope“-Festival dort, bis an die musikalische Speerspitze der Globalisierungskritik

von DANIEL BAX

Es ist wirklich nicht schwierig, jemanden zu finden, der einen zum Patrice-Konzert begleitet. Der Freund winkt zwar ab: „Patrice? Ach nee. Meine Freundin findet den zwar toll. Aber mein Fall ist er nicht.“ Dafür ist die beste Freundin sofort begeistert: „Patrice, der ist doch süß!“ Und sagt gleich noch einer weiteren Freundin Bescheid, die mitkommen mag.

So viele Mädchen und junge Frauen wie zum Auftakt des „popdeurope“-Festivals hat man im Haus der Kulturen der Welt noch selten gezählt. Und Patrice weiß seinem Ruf als Mädchenschwarm gerecht zu werden. Auf der abendlichen Dachterrasse herrscht dichtes Gedrängel, als er dort auf die Bühne tritt. Sofort hebt ein großes Kreischen an und Arme fliegen in die Höhe.

Mit bratzigem Funk feuert seine Band Shashamani die Stimmung an, während Patrice mit warmer Kopfstimme seine bekannten Stücke zum Besten gibt. Seine rootsigen, reggaelastigen Songs weisen eine ganz eigene Handschrift auf, sein Gesang eine ganz eigene Note. Patrice nutzt das Kapital seiner Ausnahmestellung. Als seine Band an Compay Segundo und Celia Cruz erinnert und dabei ein Salsa-Zitat in ihren Reggae-Upbeat einflicht, da ist das nicht nur ein Tribut an zwei in der vorigen Woche verstorbene Größen der kubanischen Musik – es zeigt auch, in welcher Liga sich der 24-jährige Patrice selbst sieht. Und dass er sich als rechtmäßiger Nachfolger von Bob Marley versteht, belegt er nicht nur durch seine Adaption von „No Woman No Cry“.

Das nötige Charisma hat Patrice zweifellos. Als er während des Konzerts seine Halskette abstreift und ins Publikum werfen will, setzt erneut vielstimmige Freude aus den Kehlen der Mädchen ein. Als er später „Up in My Room“ singt, da wünschen sich sicherlich nicht wenige im Publikum, mit ihm dort sein zu dürfen. Nach dem Konzert, das pünktlich um zehn (die Nachbarn!) endet, scheinen alle Mädchen ein paar Zentimeter über dem Boden zu schweben.

Mit der Reihe „popdeurope“, im vergangenen Jahr gestartet, ist dem Haus der Kulturen der Welt eine spürbare Verjüngung seines Publikums gelungen. Mit akademischen Projekten und trockenen Empfängen, die ansonsten dem Stil des Hauses entsprechen, lässt sich schließlich kein Teenager locken. Schon zur Vorabparty vor einem Monat drängte sich junges Mitte-Volk. „Abi 2003“ stand nun auf einem Wagen, der am Freitagabend vor der Kongresshalle parkte.

Mit Patrice als heimlichem Headliner sind die Macher des „popdeurope“-Festivals natürlich auf Nummer Sicher gegangen. Das zeugt zwar nicht von besonderer Originalität – schließlich braucht ein Shooting Star wie Patrice, der erst vor einem halben Jahr an drei Abenden hintereinander das Columbia-Fritz füllen konnte, eigentlich kein öffentlich subventioniertes Festival. Dafür aber glaubt das Haus der Kulturen der Welt offenbar, ihn zu brauchen. Und warum auch nicht? Wenn sein Engagement dazu führt, auch auf die anderen Konzerte der Reihe neugierig zu machen.

An den kommenden vier Wochenenden sind sehenswerte Gäste angekündigt, die hierzulande kaum jemand kennt: zum Beispiel Mercan Dede aus Istanbul, der die meditative Musik der türkischen Sufi-Bruderschaften mit den elektronischen Exzessen eines Techno-DJs zu verbinden weiß: mit kreisenden Derwischen und allerhand Theaterdonner vom Laptop. Eher aus der Schule von Manu Chao stammen dagegen Ojos de Brujo und Dusminguet aus Barcelona. Sie verbinden Flamenco mit Elektronik und katalanische Rumba mit Rock und gelten als musikalische Speerspitze der globalisierungskritischen Bewegung – genauso wie die Fabulous Troubadours und das Massilia Sound System aus dem Süden Frankreichs, die eine Woche später folgen. Zum Finale werden dann das Anima Sound System und Dubcity Fanatikz aus Budapest sowie ihre nicht weniger mischfreudigen Kollegen von Transglobal Underground aus London erwartet, zum großen Soundclash der Musikkulturen.

Die Vermischung und gegenseitige Durchdringung inner- und außereuropäischer Stile ist das allumfassende Thema von „popdeurope“. „Migrating Sounds in and out of Europe“ lautet der Untertitel des ambitionierten Festivals, zu dem sich noch eine Clubreihe im Universal-Gebäude am Spreeufer an der Oberbaumbrücke gesellt sowie Workshops, die Jugendlichen neue kulturelle Techniken wie Multimedia und Sampling nahe bringen sollen. Außerdem hat man T-Shirts mit dem hübschen Festival-Logo gedruckt und eine eigene CD-Compilation mit multikulturellen Dub-Sounds herausgebracht.

Ein wenig krankt das Festival allerdings noch an seinem Anspruch, alles einer These unterzuordnen. Der theoretische Überbau droht zuweilen das Programm zu erdrücken: als wären alle Bands und Musiker nur geladen, um den lebenden Beweis für die Gültigkeit einer Behauptung zu erbringen. Dreißig Seiten umfasst allein das Programmheft – das hilft dem interessierten Publikum vielleicht, sich besser zu informieren. Es erweckt aber auch den Eindruck, als traue hier jemand der Musik nicht zu, für sich selbst zu sprechen.

„popdeurope. Migrating Sounds in and out of europe“. Bis zum 23. 8. im Haus der Kulturen der Welt, Tiergarten. Mehr unter www.popdeurope.de.