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Archiv-Artikel

Gewitter reinigt Sachsen-SPD

Vor Beginn der heißen Wahlkampfphase tritt die sächsische Parteivorsitzende zurück. So beendet sie den Dauerzwist mit dem Fraktionschef, der ihr im Landesvorsitz nachfolgt

DRESDEN taz ■ Nur drei Monate vor der Landtagswahl hat die sächsische SPD ihre Parteispitze ausgetauscht. Nach dem Listenparteitag vom Wochenende wurde die bisherige Landesvorsitzende Constanze Krehl zum Opfer einer Revolution von unten, nachdem sie selbst zuvor einen Putsch von oben versucht hatte. Ihr Fehler: Auf die vorderen Plätze der mühsam ausbalancierten Kandidatenliste zur Landtagswahl hatte sie plötzlich mehrere ihrer Gefolgsleute gesetzt.

Die Liste folgt in Sachsen nicht nur dem üblichen Proporz nach Geschlecht, Alter und Region. Sie muss auch das Verhältnis zwischen dem Krehl-Flügel und den Anhängern des Landtags-Fraktionschefs Thomas Jurk berücksichtigen. Nachdem schon die Landesvorsitzende selbst auf dem Parteitag nur ganz knapp die erforderliche Stimmenzahl erhielt, fielen bei den nachfolgenden Kampfabstimmungen die meisten ihrer Favoriten durch. Versteinert an der Zigarette saugend, bat sie um einen Tag Bedenkzeit. Dann trat sie erwartungsgemäß von Amt und Listenplatz zurück.

Mit Krehl hat auch ihre Berliner Achse einen Dämpfer erhalten, zu der unter anderem der ehemalige Ostbeauftragte Rolf Schwanitz zählt. Auf der nun beschlossenen Landesliste rangieren auf den wenigen aussichtsreichen Plätzen überwiegend Kandidaten, die der Berliner Agenda 2010 skeptisch oder sogar offen kritisch gegenüberstehen.

Mit dem Spitzenkandidaten Thomas Jurk wurde außerdem ein Politiker gestärkt, der in der Opposition eher offensiv agiert. Bei Krehl war kaum ein Profil zu erkennen – auch wenn die scheidende Landeschefin nach ihrer Wahlschlappe klagte, die Delegierten hätten „eine klare Richtungsentscheidung gegen Sachpolitik getroffen“. Krehl wird sich jetzt ganz ihrem Job als Europaabgeordnete widmen.

Damit ist die Hälfte der Doppelspitze weggebrochen, die 1999 den Landes- und Parteivorsitzenden Karl-Heinz Kunckel beerbte. Als der Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee im vorigen Herbst eine Spitzenkandidatur ablehnte, sollte zunächst eine Urwahl zwischen den Kontrahenten Krehl und Jurk entscheiden. Man einigte sich dann auf die Fortsetzung der Doppelspitze.

Nun hat Jurk auch den vorläufigen Landesvorsitz übernommen und muss versuchen, ein Vierteljahr vor der Wahl die Partei zusammenzuhalten. Eine Mehrheit der sächsischen SPD-Genossen betrachtet den Eklat eher als Chance und als „reinigendes Gewitter“, das früher oder später kommen musste.

MICHAEL BARTSCH

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