: Polnische Qualität für deutsche Gebisse
In Niedersachsen geben 260 Kieferorthopäden ihre Kassenzulassung zurück – die Zahnärzte haben ihnen einen Teil vom Honorarkuchen weggenommen. Jetzt holen die Krankenkassen polnische Gebissregler ins Land. 15 Bewerber gibt es schon
AUS HANNOVER JÜRGEN VOGES
Die niedersächsischen Krankenkassen machen im Konflikt mit den Kieferorthopäden des Landes Ernst. Jetzt haben sie als Boykottbrecher Spezialisten aus Polen für die Gebissregulierung angeworben. Nach den Worten ihres Sprechers Jörg Niemann liegen den gesetzlichen Kassen in Niedersachsen bereits fünfzehn Bewerbungen von polnischen Kieferorthopäden vor.
Eine Kölner Personalserviceagentur, die bereits Erfahrung in der Anwerbung von Krankenschwestern hat, stellte demnach in Polen den Kontakt zu fünf niedergelassenen Kieferorthopäden und zu weiteren zehn Fachzahnärzten her, die gerade am Ende ihrer Ausbildung stehen und ihre Zeit als kieferorthopädische Assistenzärzte in Niedersachsen absolvieren sollen. Alle 15 Ärzte werden noch dieses Jahr in Ambulanzen von Krankenhäusern oder in Praxen in den Landkreisen Cuxhaven und Hildesheim oder im hannoverschen Umland den Dienst am deutschen Patienten aufnehmen.
In den drei Landkreisen hatten jeweils mehr als die Hälfte der Kieferorthopäden ihre Kassenzulassung zurückgegeben. Damit war der Auftrag zur Sicherstellung der Patientenversorgung auf die Kassen übergegangen. Laut Kassensprecher Niemann ist es das erste Mal, dass deutsche Krankenkassen dazu systematisch Ärzte im Ausland anwerben.
Anlass für den Konflikt mit den Kieferorthopäden ist eine zwischen Kassen und Zahnärzten vereinbarte Neuverteilung des Honorarkuchens. Die Zahnärzte erhalten dadurch auf Kosten der bisherigen Spitzenverdiener etwas höhere Honorare. Die Kieferorthopäden verlieren nach eigenen Angaben bis zu einem Viertel ihrer Einkünfte. Ärger um die Umverteilung gab oder gibt es etwa auch in Bayern, Hamburg oder Bremen. In Niedersachsen gaben von etwa 260 Zahnspangen-Spezialisten rund 60 ihre Kassenzulassung zurück.
Auch die Landesvorsitzende des Berufsverbandes der Deutschen Kieferorthopäden, Gundi Mindermann, hat ihre Zulassung zurückgegeben. Sie verlangte gestern ein völlig neues Abrechnungssystem für ihre Patienten. Dies würde dem Beispiel des Zahnersatzes folgen und letztlich auf Privatrechnungen hinauslaufen, mit denen Ärzte wesentlich besser verdienen. Kassenpatienten sollen demnach den Umfang der Leistungen und die Honorare frei mit den Ärzten vereinbaren. Die Kasse erstattet dann einen Sockelbetrag. Den Rest begleichen die Patienten aus eigener Tasche.
Bei den niedersächsischen Krankenkassen beißen die Kieferorthopäden mit diesen Vorstellungen allerdings auf Granit. Sie haben angekündigt, für Leistungen der Ärzte ohne Zulassung gar nicht mehr aufzukommen. Die Boykotteure dürfen nach Abschluss der laufenden Behandlungen keine neuen Kassenpatienten mehr annehmen.
Für die Patienten in den drei betroffenen Gebieten werden nun Behandlungsmöglichkeiten in Ambulanzen von drei Krankenhäusern geschaffen. Außerdem sollen Zahnärzte, die bislang nur gelegentlich Gebisse von Jugendlichen reguliert haben, vermehrt kieferorthopädische Leistungen anbieten.
Der Ausgang des Konfliktes ist noch ungewiss. Erst einmal geben beide Seiten an, hart bleiben zu wollen.