: Westafrika im Zeughaus
Eine vorzügliche Afrika-Ausstellung täuscht über den desolaten Zustand der Lübecker Völkerkundesammlung. Die Leitung ist seit 13 Jahren vakant, der Stadtrat hat einen Null-Etat verordnet. Trotzdem will man „Kulturhauptstadt Europas“ werden
aus Lübeck Hajo Schiff
Vom tanzesfrohen Taka-Tuku-Land bis zur politischen Dauerkrise und dem Aids-Desaster: Kein Kontinent ist so vielen Vorurteilen ausgesetzt wie Afrika. Besonders über das heutige Leben in Westafrika herrscht meist gänzliche Unkenntnis, können doch der Norden, Osten und Süden des Kontinents als Urlaubsregionen zumindest einen Teil ihrer Realität bunt bewerben. Will man also die Region südwestlich der Sahara in einer Ausstellung umfassend vorstellen, müssen die Besucher nach Meinung der Deutschen Forschungsgemeinschaft praktisch am Nullpunkt abgeholt werden.
So beginnt die jetzt in Lübeck angekommene Wanderausstellung, mit der die Frankfurter Goethe-Universität die fünfzehnjährige Arbeit von etwa 100 Wissenschaftlern des Sonderforschungsbereichs 268 vorstellt, mit reichlich unwissenschaftlichen Positionen: Da ist zu lesen von der Freude des früheren Bundespräsidenten Heinrich Lübke darüber, dass die „lieben Neger“ es lernen, sich zu waschen, da wird auch das positiv gewendete Kitschbild in Literatur und Mode nicht ausgespart.
Doch dann öffnet sich in der Völkerkundesammlung im ehemaligen Zeughaus in Lübeck eine mit modernen Medien gespickte Ausstellung, die an Intensität und Umfang keinen Vergleich mit den großen Museen zu scheuen braucht: In einer Vielzahl von Facetten wird die Botanik im Sahel erläutert oder die noch heute bestehenden Rechte der alten Könige.
Die Vielsprachigkeit wird demonstriert, die Masken der Geheimgesellschaften kommen ebenso vor wie die Fußballbegeisterung; die fast kultische Bedeutung der Kühe steht neben der Präsenz des Internet. Der Transsaharahandel wird ebenso dargestellt wie der Kleinhandel in den Megastädten. Und was selbst für die Einheimischen vielleicht am unerwartetsten ist: Es gibt auch eine westafrikanische Archäologie, wie die Ausgrabung des achttausend Jahre alten Einbaumbootes von Dufuna zeigt – eine Grabung in einem Brunnenloch in der Nähe des Tschad-Sees.
Diese Ausstellung wurde bisher in Frankfurt und Köln gezeigt; auf Lübeck folgt als letzte Station Heilbronn. Anschließend soll sie in Auszügen in Nigeria präsentiert werden. Und auch wenn sich Lübecks Ruf eher auf backsteinernes Weltkulturerbe gründet, hat auch das Sammeln ausländischer Kulturgüter Tradition und lässt sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen: Mindestens seit 1696 besitzt der Ratsapotheker Jacob Stolterfoht eine ägyptische Mumie – sie ist noch heute ständig am derzeitigen Sitz des Völkerkundemuseums ausgesellt. Seit 1893 gibt es am Dom ein eigenständiges Museum für Völkerkunde, das – wie der Großteil Lübecks – 1942 im Luftangriff zerstört wurde. Von 1952 bis 1969 befand sich die weitgehend gerettete völkerkundliche Sammlung dann in Hamburg.
Erst seit 1971 gibt es in Lübeck wieder völkerkundliche Ausstellungen, 1984 wurde aus Spendenmitteln das 1594 erbaute ehemalige Zeughaus neben dem Dom als neues Völkerkundemuseum eingerichtet. Doch das Haus mit seiner mehr als 27.000 Objekte fassenden, einst vor allem von Bürgern gestifteten und teilweise hochrangigen Sammlung (einige Objekte aus der Lübecker Westafrika-Expedition von 1907 sind nahezu einmalig und hätten einen millionenschweren Marktwert) verlor 1990 mit der Pensionierung der Leiterin Helga Rammow eine streitbare Kämpferin.
Seither ist die Leitung vakant. Und trotz größter Mühen von Brigitte Templin, der einzig verbliebenen Fachfrau, geht es mit der völkerkundlichen Sammlung mangels Rückhalt im Stadtrat ständig bergab. Zurzeit ist das Museum auf einen „Null-Etat“ gesetzt und befindet sich praktisch im Zustand einer ausgesetzten Schließung.
2001/2002 wurde eine bemerkenswerte Ausstellung zu jüdischem Leben gezeigt, deren Kernsubstanz die 1932 gestiftete Sammlung Julius Carlebach war. Der war der Neffe des Hamburger Oberrabbiners Joseph Carlebach und wurde nach seiner Emigration nach New York ein bekannter Galerist. Und wäre es den Lübeckern nicht zu peinlich gewesen, solch eine Ausstellung abzubrechen, hätten sie das Haus bereits 2002 geschlossen und einer anderen Nutzung zugeführt.
Heute wird der Museumsbetrieb auf Vereinsbasis von der „Gesellschaft für Geographie und Völkerkunde“ betrieben und in der täglichen Arbeit von der gemeinnützigen Ausbildungs- und Beschäftigungs-GmbH unterstützt, die hier im Projekt XENOS für Sozialhilfeberechtigte ausländischer Herkunft Halbtagsjobs finanziert.
Das kann aber selbst angesichts stark strapazierter Kassen nur eine vorübergehende Notlösung sein. Immerhin bewirbt sich Lübeck um den Titel einer Kulturhauptstadt. Und in solchem internationalen Vergleich macht der doch etwas kurzschlüssige Plan einen reichlich seltsamen Eindruck, eben jene Sozialhilfeberechtigten sollten in Zukunft die Ausstellungen von der Themenwahl bis zum letzten praktischen Detail selbst machen.
In einem finanziell, personell und technisch optimal ausgestatteten Haus wäre das ein interessanter Partizipationsversuch, als alleiniges Betriebskonzept unter nur einer einzigen Fachfrau in Halbtagsstelle, ist es eine massive Missachtung aller wissenschaftlichen Professionalität. Und darüber hinaus auch eine Zumutung für die Besucher der einzigen großen Völkerkundesammlung zwischen Bremen, Hamburg und Kopenhagen.
Leben in Westafrika: Lübecker Völkerkundesammlung, Parade 10 (Zeughaus am Dom), Di–So 10–17 Uhr, bis 4. Januar 2004; Katalog 200 S., 18 Euro