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Archiv-Artikel

Saddam Hussein sitzt jetzt in U-Haft

Der ehemalige Diktator ist nun irakischer Gefangener an unbekanntem Ort, wird aber von US-Soldaten bewacht. Mit seinem Prozess wird erst im kommenden Jahr gerechnet. Die Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe lebt wieder auf

AUS BAGDAD KARIM EL-GAWHARY

Es wird sein erster öffentlicher Auftritt seit jenen berühmten Bildern, die Saddam Hussein nach seiner Verhaftung zeigten. Damals, am 13. Dezember 2003, ließ er sich vor laufender Kamera als eine Art bärtiger Höhlenmensch willig wie ein Pferd sein Gebiss untersuchen und eine Rasur über sich ergehen. Heute wird der ehemalige Diktator erstmals vor einem irakischen Sondergericht erscheinen, wo seine Anklage verlesen wird.

Erst gestern, zwei Tage nach der offiziellen Machtübergabe der US-geführten Besatzungsbehörde an die neue irakische Interimsregierung, wurde der ehemalige Diktator mit elf weiteren Führungsmitglieder des alten Regimes den irakischen Behörden überstellt. Neben Saddam Hussein wurden auch Ali Hassan Madschid, auch bekannt als „Chemie-Ali“, der frühere Vizeministerpräsidenten Tarik Asis und Vizepräsidenten Taha Jasin Ramadan übergeben.

„Guten Morgen, ich habe einige Fragen“, soll Saddam den irakische Richter Salim Tschalabi, der mit den Fällen betraut wurde, bei ihrer ersten Begegnung begrüßt haben. Der verwies ihn auf den nächsten Tag. Einige der anderen elf Männer waren nervös und fühlten sich sichtlich unwohl. Ali Madschid habe gezittert vor Angst, sagte Tschalabi, der schon einige Todesdrohungen erhalten hat, der Presse.

Die Männer bleiben zunächst in amerikanischem Gewahrsam, juristisch sind sie Untersuchungshäftlinge der irakischen Justiz. Damit haben sie das Recht auf einen Anwalt, wie Tschalabi betonte. Die Anklage umfasst zwölf Punkte, unter anderem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Saddam werde unter anderem im Zusammenhang mit den Gasangriffen auf die Kurden, dem Einmarsch in Kuwait 1991 und dem acht Jahre währenden irakisch-iranischen Krieg angeklagt, sagte Tschalabi.

Die Übergabe Saddams Husseins erfolgte nach einigem Tauziehen. Der neue irakische Premierminister Ajad Allawi hatte auf dem Schritt bestanden. Noch Anfang Juni hatten die US-Besatzungsbehörden sehr zurückhaltend auf die Idee einer Übergabe ihres prominentesten Gefangenen reagiert. Doch offenbar wollten sie Allawi nicht gleich zu Amtsantritt politisch schwächen. Nach Angaben des Roten Kreuzes hätten die USA außerdem gegen die Genfer Konvention verstoßen, wenn sie Saddam Hussein nach der Machtübergabe und dem offiziellen Ende der Besatzung behalten hätten.

Faisal Israbadi, der Hauptautor der irakischen Übergangsverfassung, geht davon aus, dass die USA rein rechtlich nach der Machtübergabe drei Möglichkeiten hatten: „Sie konnten Saddam freilassen, ihn selbst vor Gericht stellen oder ihn dem Land übergeben, in dem er seine Verbrechen begangen hat.“ In jedem Fall, so Israbadi, mussten die USA reagieren, um kein rechtliches Vakuum entstehen zu lassen. Der irakische Rechtswissenschaftler sieht in der Tatsache, dass Saddam Hussein weiterhin in US-Gewahrsam bleibt, keinen Widerspruch. Das sei notwendig, weil der Irak im Moment weder ein funktionierendes Gefängnissystem noch genügend ausgebildete Justizbeamte besitze.

Mit der Übergabe Saddam Husseins wurde im Irak auch die Diskussion um die Todesstrafe neu aufgeworfen. Der irakische Präsident Ghasi al-Ijawar kündigte ihre Wiedereinführung an. Der ehemalige US-Besatzungsverwalter Paul Bremer hatte diese ausgesetzt. Auch der irakische Nationale Sicherheitsberater, Muwafak al-Rubai, forderte, dass das Sondergericht die Möglichkeit haben soll, die Exekution Saddams anzuordnen.

Der Jurist al-Israbadi gibt sich vorsichtiger: „Die Todesstrafe wurde in der modernen Geschichte des Irak oft missbraucht, und ein neuer demokratischer Irak, der auf dem Tod des alten Regimes aufgebaut wird, setzt ein schlechtes Zeichen“, sagt er, räumt aber ein, dass die Todesstrafe tief in die irakische Rechtskultur verankert sei. Er schlägt ein Moratorium in dieser Frage vor, mindestens so lange, bis es eine gewählte irakische Regierung gibt und eine endgültige Verfassung verabschiedet ist.

Die Eröffnung des Prozesses gegen Saddam dürfte nicht vor dem nächsten Jahr geschehen. Allerdings ist damit zu rechnen, dass die Verfahren gegen einige der elf anderen Gefangenen bereits früher beginnen. Al-Israbadi glaubt nicht, dass die Prozesse zu einer Art Wiedergutmachung für die zahlreichen irakischen Opfer des Saddam Regimes führen werden. „Hier handelt es sich um einen Strafprozess, in dem die Schuld oder Unschuld der Angeklagten festgestellt werden muss“, erklärt er. Hier gehe es nicht um die ultimative Wahrheit, sondern um Fakten, auf deren Grundlage das Urteil gefällt werden könne. „Ich bin sicher, dass wir Gerechtigkeit haben werden, aber die geschichtliche Wahrheit wird in diesem Rahmen nicht gefunden. Das sind zwei sehr verschiedene Dinge“, sagt Israbadi. Zur Wiedergutmachung könne das Ganze ohnehin nichts beitragen. „Was können wir einem Kind geben, das seinen Vater verloren hat, oder einer Frau, die durch staatliche Politik vergewaltigt wurde“, fragt er und antwortet: „Wir können ihnen bestenfalls Gerechtigkeit zukommen lassen, wiedergutmachen lässt sich das niemals.“

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