: Schlaglöcher und Luftnummern
Was der Bundestag heute auch beschließen mag – der Umsetzung des Verkehrswegeplans steht eine chronische Unterfinanzierung entgegen
VON HANNA GERSMANNUND NICK REIMER
„Das ist der Einstieg in eine umweltgerechte Mobilität.“ Ein Jahr ist es her, dass Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) diese hehren Worte aussprach. Gerade hatte der neue Bundesverkehrswegeplan (BVWP) das Kabinett passiert. Einst angetreten, um die Kohl’sche Verkehrspolitik ökologisch zu erneuern, hatten die rot-grünen Koalitionäre sechs Jahre lang gestritten. Gleichberechtigung von Schiene und Bahn, solide Finanzierung oder ein Ende der Fluss-Ausbaupolitik – tatsächlich gab das Ergebnis Anlass zu Hoffnung.
Heute, ein Jahr später, sind die rot-grünen Koalitionäre immer noch dabei „einzusteigen“. Heute wird der Bundestag die Umsetzung des großen Verkehrsplans voraussichtlich beschließen, genauer gesagt: die so genannten Ausbaugesetze für Fernstraße und Schiene. „Seit September letzten Jahres sind diese im parlamentarischen Verfahren“, sagt Richard Schild, Sprecher von Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD). Um die einhundert Runden habe es mit allen Beteiligten gegeben. Erst diese beiden Gesetze sind entscheidend für rot-grüne Verkehrspolitik: Während nämlich der Bundesverkehrswegeplan lediglich politische Absichten formuliert, erheben die Ausbaugesetze die Verkehrsprojekte in Gesetzesrang.
Vor allem die Bündnisgrünen werden heute feiern: Der Autobahn-Südring München (A 99) wird nicht im Ausbaugesetz auftauchen, genauso wenig wie die Westerwald-Autobahn A 48 in Rheinland-Pfalz. Aber auch die SPD wird ihrem Wahlvolk Erfolge verkaufen: Mit den Planungen zahlreicher Ortsumgehungen – etwa in Baden-Württemberg oder Hessen – kann eher begonnen werden als zunächst vorgesehen.
Was die Gesetze allerdings für jene Projekte bedeuten, die „drin“ sind, wird an anderer Stelle entschieden. „Die Ausbaugesetze darf man nicht mit finanziellen Absicherungen verwechseln“, erklärt Schild. Heißt konkret: Jedes Jahr muss aufs Neue in den Haushaltsplanungen um Geld gekämpft werden. Das ist das eigentliche Problem: Die 74 Milliarden schweren Planungen für rund 1.600 neue Straßen und gut 50 Schienenwege sind völlig unterfinanziert. „Wird die Finanzplanung des Bundes für die Jahre 2004 bis 2008 so wie bisher fortgeschrieben, stehen bis 2015 gerade mal 32 Milliarden zur Verfügung“, rechnet Tilmann Heuser von Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) vor.
Zwar verwaltet Minister Manfred Stolpe (SPD) mit 23,2 Milliarden Euro derzeit den größten Investitionshaushalt. Davon entfallen aber nur 10,8 Milliarden Euro auf den Verkehrssektor. Eine Summe, die weiter schrumpfen wird. Entsprechend der mittelfristigen Planung des Finanzministeriums stehen Stolpe 2006 nur noch 10 Milliarden Euro zur Verfügung. Und selbst das ist ungewiss. So liegen dem Etat des Verkehrsministers 3 Milliarden Euro aus der Lkw-Maut zugrunde, obwohl völlig unklar ist, ob und wann das High-Tech-System läuft (siehe unten).
Nicht der Bundesverkehrswegeplan bestimmt also rot-grüne Verkehrspolitik, sondern der Füllstand des Geldbeutels von Hans Eichel. Zum Beispiel die Bahn: Bis 2015 hat der Bundesverkehrswegeplan 30 Milliarden Euro für neue Gleise und Bahnhöfe verplant. Der Bundesfinanzminister rückt im nächsten Jahr für Neubauten aber gerade mal eine Milliarde raus. Zum Vergleich: Die als vordringlich eingestufte ICE-Strecke Nürnberg–Halle kostet 7 Milliarden Euro.
„Wunschlisten voller Luftschlösser“, nennt deshalb der BUND-Geschäftsführer Gerhard Timm die Gesetze, die der Bundestag heute verabschiedet. Das Problem sei: Die Länder sind zuständig für die Planung, der Bund zum großen Teil für die Finanzierung. Egal also, ob die Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) oder Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU): In den letzten Wochen kämpften die Landesfürsten besonders emsig für „ihre“ Bundesfernstraße, für „ihre“ Autobahnanbindung.
Das Ergebnis ist oft grotesk: Im Gesetz steht jetzt etwa ein Grenzübergang nach Polen in Schwedt an der Oder. Und das, obwohl es drei Kilometer flussauf bereits einen Übergang gibt, der in den letzten Jahren für 20 Millionen Euro ausgebaut wurde. Es muss hier wohl kaum erwähnt werden, dass der zusätzliche Übergang für Brandenburgs Landeschef Matthias Platzeck (SPD) „hohe Priorität“ hat. Da ist völlig egal, welches Verkehrsaufkommen der Bundesverkehrswegeplan für 2015 prognostiziert: 2.000 Autos in 24 Stunden. In älteren Berechnungen war gar nur von 240 die Rede. Die Kosten sind hingegen enorm, für die 3,9 Kilometer sind 25,3 Millionen Euro veranschlagt.
Angesichts solcher Planung wächst bei den Umweltschützern die Sorge, dass die Sanierung bestehender Infrastruktur auf der Strecke bleibt. BUND-Chef Timm: „Schon heute werden Schlaglöcher in Landstraßen nicht mehr geflickt.“
Das also ist die versprochene Wende hin zu einer ökologischen Verkehrspolitik? Albert Schmidt, bündnisgrüner Verkehrsexperte, versuchte es gestern mit einem Versprechen: „Im nächsten Jahr wird kein großes Straßenprojekt begonnen.“ In den heute auch mit seiner Stimme verabschiedeten Ausbaugesetzen jedenfalls steht das anders drin. Und noch nicht einmal das ist das Ende vom „Einstieg in eine umweltgerechte Mobilität“. Das letzte Wort hat der Bundesrat.