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Archiv-Artikel

Weltschmerz hält munter

Sie sehen schrecklich aus, und nun reden sie vor dem Musizieren sogar über ihre Gefühle. Aber das neue, selbst betitelte Album der britischen Band The Cure ist ihr schönstes seit langer, langer Zeit

VON HARALD PETERS

Leider haben The Cure ein Imageproblem. Ihr Bandvorsteher Robert Smith trägt seit Jahr und Tag die gleiche Vogelnestfrisur und bevorzugt seinen Lippenstift nach wie vor verschmiert. Er hat ganze Heerscharen junger Menschen dazu verleitet, sich sein zutiefst missbilligenswertes Äußeres zum Vorbild zu nehmen. Weil man noch heute vielerorts Leute trifft, die auf sackartig dunkle Gewänder und krankhaft gepuderte Blässe schwören, möchte selbstverständlich kein moderner Mensch in den Verdacht geraten, die Verursacher dieser tragischen ästhetischen Verirrung zu unterstützen.

Das ist ein schwerer Fehler, denn The Cure sind eine der schönsten und besten Bands überhaupt. Ihren Einfluss kann man gar nicht groß genug schätzen. Dem Rapture-Sänger Luke Jenner ist Robert Smiths dramatisches Jauchzen und Mauzen zum Beispiel zu einer zweiten Natur geworden, und auch Mogwai, Interpol und Bright Eyes haben sich auf die eine oder andere Weise deutlich bei The Cure bedient. Das gefürchtete deutsche Techno-Duo Blank & Jones verstieg sich kürzlich gar zu der These, das The Cures alter Gassenhauer „A Forest“ im Grunde die Geburtsstunde von Trance sei, und Junior Jack ließ erst vor wenigen Monaten seinen Housetrack „Da Hype“ von Robert Smith besingen. Auch kann jeder, der nur etwas mit der Band vertraut ist, ein Lieblingslied von The Cure benennen. Viele werden wahrscheinlich „Boys Don’t Cry“ oder „Friday I’m In Love“ wählen, doch es gibt sogar welche, die mögen einfach alles.

Dazu gehört unter anderem Ross Robinson. Nachdem The Cure vor vier Jahren mit „Bloodflowers“ ihr viertes Abschiedsalbum in Folge veröffentlicht hatten, konnte der Produzent von Slipknot, Sepultura und Vanilla Ice die Band jedenfalls dazu überreden, es doch noch einmal zu versuchen. Er forderte seltsame Dinge von der Band. So sollten sie pro Tag einen Song einspielen. Doch bevor es ans Einspielen des jeweiligen Songs ging, musste derjenige, der den Song geschrieben hatte, dem Rest der Band die Bedeutung seines Songs erklären. Da Robert Smith der alleiniger Songschreiber der Band ist, sah er sich gezwungen, sein Seelenleben offen zu legen, was dazu führte, dass fünf gestandene Gruftimänner von über vierzig Jahren zum ersten Mal in ihrem Leben statt über Akkordfolgen über ihr Gefühle diskutierten. Einander derart näher gekommen spielten sie die Lieder dann im Kreis bei Kerzenschein live ein.

Das Resultat ist das wunderbarste Cure-Alben seit „Disintegration“ (1989). Es trägt den schlichten Titel „The Cure“ (I Am/Universal), weil es im Grunde für alles steht, was The Cure ausmacht und jemals ausgemacht hat. Es hat paranoide Endzeitsongs, melodramatische Endzeitsongs, wütende Endzeitsongs und mit „The End Of The World“ und „(I Don’t Know What’s Going) On“ zwei der herrlichsten Liebeslieder, die sich Robert Smith je ausgedacht hat. Weil die jeweiligen Stücke stets in einem Rutsch eingespielt wurden, konnte Robinson bei den Aufnahmen einen gewissen Live-Charakter bewahren, weshalb zum Beispiel der erste Titel „Lost“ so klingt, als hätten The Cure nach einer ihrer Gesprächstherapiesitzungen vergessen, ihre Instrumente zu stimmen.

Und das Schönste: Von einer Trennung oder einem baldigen Ende ist längst nicht mehr die Rede. In wenigen Wochen gehen sie erst einmal mit ihren jungen Fans von Mogwai, The Rapture und Interpol auf Tour, um anschließend einfach immer weiterzumachen. Mit Vogelnestfrisur, verschmiertem Lippenstift und unförmig finsteren Gewändern.