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Archiv-Artikel

Kein Schutz vor Überfällen in der Schutzzone

Die französische Eingreiftruppe in Bunia hat ihr Mandat bisher nicht erfüllt. In der Umgebung häufen sich Massaker

BERLIN taz ■ „Mit den Lendu spaßt man nicht“, stand auf dem verlassenen Schuppen in Kreide. Daneben krallte sich ein blutiges Baby mit tiefen Machetenwunden an seine tote Mutter. In einem anderen zerfleischten Leichnam hatten die Killer eine Bierflasche hinterlassen. Auf einem Maisfeld in der Nähe hoben Frauen ein Massengrab aus.

Das war die Szene, die sich laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP Besuchern des Dorfes Largo bot, nachdem am Freitag Milizen des Lendu-Volkes durchgezogen waren und Hema massakriert hatten. 20 bis 30 Tote zählten die Dorfbewohner. Im Nachbarort Drodro starben mindestens 23 Menschen.

In Drodro waren Anfang April bereits 300 bis 1.000 Menschen bei einem Massaker von Lendu-Milizen umgekommen. Seitdem sind in der nahen Distrikthauptstadt Bunia französische Soldaten stationiert worden – Hauptteil einer EU-Eingreiftruppe mit logistischer Beteiligung aus Deutschland, gedacht als Paradebeispiel einer effizienten Militärintervention in Afrika. Aber die Lage in den Dörfern des Distrikts Ituri im Nordosten Kongos, wo seit 1999 Krieg zwischen Milizen der Hema- und Lendu-Völker herrscht, hat sich nicht verbessert. Im Gegenteil, gestand Hamadou Touré, Sprecher der UN-Mission im Kongo (Monuc) letzte Woche: „Es vergeht kein Tag ohne Berichte über Angriffe, Massaker, verschleppte Frauen und verbrannte Häuser.“

Die schlimmsten Massaker konzentrieren sich auf ein Gebiet nördlich und nordöstlich von Bunia, das durch bergiges Gelände bis an den Albertsee an der Grenze zu Uganda reicht. Hier führen Lendu-Milizen gegen eine Hema-Splittergruppe einen ethnischen Vertreibungskrieg. Mit ihnen baut Berichten aus Uganda zufolge Taban Amin, Sohn des früheren ugandischen Diktators Idi Amin, angeblich eine eigene Rebellenbewegung auf. Das Gebiet soll reiche Ölvorkommen haben und gilt damit als strategisch wichtig. Insgesamt sollen hier allein im Juli über 400 Menschen umgekommen sein. „Die Zone ist dabei, sich zu entvölkern“, zitiert die katholische Nachrichtenagentur Misna lokale Kirchenkreise.

Eine weitere Kampfzone liegt nordwestlich von Bunia, wo sich die größten Goldvorkommen des Kongo befinden. Im alten Kolonialhauptquartier der Goldminen in Kilo-Moto haben die Lendu-Milizen Quartier aufgeschlagen. Hier ist der Krieg ökonomisch, nicht ethnisch begründet: Die Lendu in den Goldminen sind verbündet mit einem mächtigen Hema-Warlord aus der nördlichen Stadt Aru, Jerome Kakwavu, der den wichtigsten Zollposten zwischen Ituri und Uganda kontrolliert und damit ein Geschäftspartner ist. Ein gemeinsamer Angriff der beiden Fraktionen auf den Ort Nizi forderte am vorletzten Wochenende mindestens 22 Tote. Nizi wird von Ituris größter Hema-Bewegung UPC (Union kongolesischer Patrioten) gehalten, die in Bunia die dominierende Kraft darstellt, aber mit den anderen Hema-Gruppen verfeindet ist.

Inmitten dieser Schlachtfelder befindet sich ein zehn mal zehn Kilometer großes Quadrat mit Bunia in der Mitte. Hier herrscht die insgesamt 1.850 Mann starke EU-Kongotruppe, rund 1.100 von ihnen – fast alles Franzosen – sind in Bunia, der Rest auf Stützpunkten in Nachbarländern stationiert. Das Kontingent soll laut UN-Resolution vom 30. Mai „zur Stabilisierung der Sicherheitslage und zur Verbesserung der humanitären Lage in Bunia beitragen“. Die Franzosen halten sich für erfolgreich. Frankreichs Armeechef Henri Bentégeat sagte vor kurzem, Bunia sei „eine Stadt, wo die Menschen flanieren, die Frauen lächeln und die Kinder wieder lernen, Kinder zu sein“.

Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) zieht eine ganz andere Bilanz. In einem am vergangenen Freitag veröffentlichten Bericht nennt MSF die Sicherheitslage in Bunia „extrem prekär“ und weist darauf hin, dass noch immer 150.000 Menschen – die Hälfte der einstigen Bevölkerung Bunias, die während der letzten Kriegsrunde im Mai zum großen Teil geflohen war – nicht aus dem Umland zurückgekehrt seien: „Sie fürchten Hinrichtungen und Racheakte.“

Lediglich 12.000 Rückkehrer hat es laut MSF gegeben. Und selbst ihre Versorgung sei nicht gewährleistet. „Die Neuankömmlinge bekommen, bis sie registriert sind, tagelang keine Hilfe“, kritisiert das Hilfswerk und berichtet: „Wegen unzureichender Lieferungen belaufen sich die Lebensmittelverteilungen derzeit auf nur 700 Kalorien am Tag, ein Drittel des Tagesbedarfs eines Erwachsenen.“

Statt an diesen Missständen etwas zu ändern, verzettelt sich die französische Truppe in einem Kleinkrieg mit der UPC, die Bunia vor dem Truppeneinsatz beherrschte. Sie hat den UPC-Kämpfern verboten, in der Öffentlichkeit Waffen zu tragen, mit Ausnahme der Leibgarde des UPC-Chefs Thomas Lubanga. Und sie hat den UPC-Bürgermeister von Bunia verhaftet und sogar das UPC-Hauptquartier am Nordrand der Stadt angegriffen. Die Hema in der UPC fürchten nun, dass sie den erstarkenden Lendu-Milizen im Umland schutzlos ausgeliefert sein werden, wenn die Franzosen ab Mitte August abziehen und Bunia ab 2. September einer UN-Blauhelmtruppe überlassen wird.

DOMINIC JOHNSON