Erneute Bewährungsprobe

Im Kongo probt die UNO neue Konzepte zur Friedenssicherung in Afrika. Das Neue: die geplante Umsetzung des Mandats

von DOMINIC JOHNSON

Für die UNO im Kongo klingt es wie eine Revolution. Die Blauhelmmission in der Demokratischen Republik Kongo (Monuc) darf in Zukunft „alle notwendigen Mittel“ anwenden, um in den Ostprovinzen Nordkivu und Südkivu sowie im Distrikt Ituri ihr Mandat zu erfüllen. Dazu gehört unter anderem „der Schutz von Zivilisten unter unmittelbarer Bedrohung durch körperliche Gewalt“ und „die Verbesserung der Sicherheitslage in Gebieten, in denen humanitäre Hilfe geleistet wird“. Dafür darf sie auf Kapitel VII der UN-Charta zurückgreifen, das Gewaltanwendung erlaubt. Das ist Kern der Resolution 1493 des UN-Sicherheitsrats vom Montag, mit der die zugelassene Höchststärke der Monuc außerdem auf 10.800 Mann erweitert wurde. Endlich, freute sich UN-Generalsekretär Kofi Annan, habe die UN-Mission im Kongo „das starke Mandat, das sie braucht“. Szenen wie im Mai in der Stadt Bunia, als Blauhelme untätig Massakern zuschauten, seien Vergangenheit.

Oder ist es doch keine Revolution? Die Autorisierung zur Gewaltanwendung unter Kapitel VII zum Schutz von Zivilisten vor unmittelbar drohender Gewalt ist seit dem 24. Februar 2000 Teil des UN-Mandats im Kongo, trotz unzähliger gegenteiliger Schutzbehauptungen der UNO selbst. Die Erhöhung der Höchststärke der Mission von 8.700 auf 10.800 Mann ist ein pures Zahlenspiel, denn bisher ist nicht einmal die bereits im Jahre 2000 bewilligte Truppenstärke von 5.537 Soldaten ausgeschöpft. Nein: Die wahre Innovation liegt nicht im Mandat. Sie liegt in der geplanten Umsetzung. Und diese bedeutet ein neues, pragmatischeres Herangehen an Friedensschaffung in Afrika.

Die UNO stellt nicht mehr einfach wie früher Blauhelme in die Landschaft. Zwischen 1992 und 1994 wurden Großmissionen mit hehren, wolkigen Zielen nach Angola, Somalia und Ruanda geschickt. Alle drei UN-Kontingente zogen irgendwann geschlagen ab. Im Kongo, einem Land von der Größe Westeuropas mit mehr Warlords als Infrastruktur, gibt sich die UNO nun klar umrissene Aufgaben. So soll eine 3.800 Mann starke Truppe aus dem indischen Subkontinent ab September die französische EU-Eingreiftruppe in Bunia ablösen, Hauptstadt des nordostkongolesischen Distrikts Ituri, der in den letzten Jahren Schauplatz besonders brutaler ethnischer Vertreibungen gewesen ist. Man kann nur hoffen, dass sie aus den Versäumnissen der französischen Truppe lernt (siehe unten).

Eine zweite „Task Force“ wird im ostkongolesischen Kindu stationiert, Hauptstadt der Provinz Maniema am Oberlauf des Kongo-Flusses südlich von Kisangani. Von Südafrikanern geleitet, obliegt ihr die Demobilisierung von Milizen, die nach wie vor im Osten Kongos ihr Unwesen treiben und gerade in Maniema sehr stark sind.

Die dritte neue Aufgabe besteht im Schutz von Kongos neu gebildeter Übergangsregierung in der Hauptstadt Kinshasa. Unter Leitung von UN-Blauhelmen soll eine neutrale Schutztruppe und ein neutrales kongolesisches Polizeikontingent entstehen.

Keine Illusionen macht sich die UNO hingegen darüber, dass sie die andauernden Kämpfe zwischen Milizen im Ostkongo mit Gewalt stoppen könnte. Stattdessen verhängt sie über Ituri, die Kivu-Provinzen und alle nicht am Kongo-Friedensprozess beteiligten Gruppen ein Waffenembargo – und das gilt auch für Kongos Regierung. Zum ersten Mal verbietet die UNO einer Regierung somit den Transfer von Waffen innerhalb ihres Landes. Das soll Kongos „kleine Kriege“, die für den Großteil der 3,5 Millionen Toten der letzten fünf Jahre verantwortlich sind, austrocknen.

Die Mischung aus Präzision und Zurückhaltung ist Ergebnis davon, dass der UN-Sicherheitsrat die Konflikte in Afrika neuerdings genauer beobachtet. Zweimal sind in den letzten drei Monaten die Botschafter des UN-Sicherheitsrates durch Afrika gereist: durch die Region der Großen Seen und durch Westafrika. Die Diplomaten – wobei Deutschland beide Male nur untergeordnete Vertreter schickte – gewannen dabei die Erkenntnis, dass Friedensverträge allein die Probleme solch kriegsgeschüttelter Regionen nicht lösen. Ihre Reiseberichte betonen Grundprobleme wie politisches Misstrauen, Straflosigkeit, Waffenschmuggel oder hohe Arbeitslosigkeit. Militärische Maßnahmen empfehlen sie nur zur Stärkung der Effektivität bestehender Friedenstruppen.

Denn obwohl inzwischen bei jedem Bürgerkrieg in Afrika Rufe nach Intervention ertönen, ist die internationale Antwort jeweils höchst unterschiedlich. In der Elfenbeinküste schickte Frankreich letztes Jahr im Alleingang mehrere tausend Soldaten zur Überwachung eines Waffenstillstands; erst dieses Jahr kam eine westafrikanische Friedenstruppe dazu. In Burundi entsandte Südafrika Leibwachen, als Hutu-Exilpolitiker ins Land zurückkehrten; inzwischen ist daraus die erste Friedensmission der Afrikanischen Union (AU) geworden. In Liberia sollen nach Hoffnung der UNO US-Soldaten einer von Nigeria geführten Friedenstruppe den Weg ebnen.

In allen Fällen gibt es eine „Lead Nation“, der sich später ein multinationaler Rahmen anschließt. Die Demokratische Republik Kongo ist ein Sonderfall: Die UNO selbst spielt „Lead Nation“ und wirbt um einzelne Länder. Vielleicht hat sie jetzt deshalb ein dreieinhalb Jahre altes Mandat neu beschlossen.