: Die Zeugen stärken
Eine neue Hausverfügung der Hamburger Staatsanwaltschaft soll dazu beitragen, dass weniger Opfer von häuslicher Gewalt ihre Aussage zurückziehen. Beratungsstellen begrüßen die Initiative
VON FRIEDERIKE GRÄFF
Es war eine der Reaktionen auf den so genannten Ehrenmord an Morsal O. im Mai letzten Jahres: Hamburgs leitender Oberstaatsanwalt, Ewald Brandt, kündigte Ende letzten Jahres an, dass künftig von Amts wegen ermittelt werden solle, wenn Zeugen oder Opfer von Gewalt plötzlich ihre Aussagen zurückziehen. Nun steht die neue Hausverfügung für die Hamburger Staatsanwaltschaft kurz vor der Umsetzung.
Morsal O. hatte vor ihrer Ermordung mehrfach Strafanzeige gegen ihre Familie erstattet und diese immer wieder zurückgezogen. Die neue Verfügung wird allerdings nicht bei Delikten wie Körperverletzung wirksam, bei denen die Staatsanwaltschaft ohnehin aufgrund des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ermittelt. Wichtig ist die Neuerung für so genannte Antragsdelikte wie Hausfriedensbruch, Stalking oder Bedrohung: Zieht in solchen Fällen das Opfer seine Zeugenaussage zurück, bricht ein wesentliches Beweismittel weg und das Verfahren wird möglicherweise eingestellt.
Der Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft, Wilhelm Möllers, ist zurückhaltend, was Details der neuen Verfügung anbelangt. Oberstaatsanwalt Brandt hatte in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt angekündigt, man wolle sich „nicht damit zufrieden geben, wenn jemand sagt, er habe als Opfer an der Strafverfolgung kein Interesse mehr“. Gerade bei einem Migrationshintergrund“ müsse dies „noch häufiger hinterfragt werden“. Die Hamburger Staatsanwaltschaft erhebt jedoch keine Zahlen darüber, wie viele Verfahren wegen einer Zurücknahme der Aussage eingestellt werden.
Cornelia Tietze von Pro Aktiv Hamburg, einer Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt, begrüßte die Initiative. Es sei wichtig, dass sich die Staatsanwaltschaft um die Problematik kümmere. Ihrer Erfahrung nach sind die Gründe für das Zurückziehen von Zeugenaussagen vielfältig: Teils nähmen Familienmitglieder Einfluss, teils setzten die Täter das Opfer unter Druck. Unter anderem, indem sie für den Fall einer Zurücknahme Besserung versprächen. Auch die Angst der Betroffenen, wie sie alleine zurechtkommen sollten, könne ausschlaggebend sein.
Von einer neuen Verfügung bei der Hamburger Staatsanwaltschaft erhofft sich Cornelia Tietze, dass künftig weniger Verfahren eingestellt werden. Ein weiteres Anliegen liegt dagegen weniger im Ermessen der Staatsanwaltschaft denn in dem der Richter: „Es wäre gut, wenn die Strafrahmen, die es bereits gibt, häufiger ausgeschöpft würden.“
Die Hamburger Polizei sieht keine Auswirkungen auf ihre Arbeit: Bei der so genannten Gefährderansprache eines Stalkers etwa sei es „sehr hypothetisch“, dass sich dieser einer veränderten Strategie der Staatsanwaltschaft bewusst sei.
Von trauriger Aktualität bleibt die Einschüchterung von Zeugen: Im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder von Morsal O. verweigerte kürzlich eine Freundin die Aussage, weil ihr Vater gedroht hatte, sie zurück in die Türkei zu schicken.