fußpflege unter der grasnarbe : Vor dem dunkelroten Mond
Wir hatten uns schon gewundert über die Chartergebühr. Mitten in der Hauptsaison gab es selten ein Segelboot zu einem derart günstigen Wochenpreis. Aber wer denkt schon im Januar daran, dass im Juni in Portugal von den meisten Teams hochklassiger Fußball geboten werden könnte. Nun galt es, den Törn möglichst so zu organisieren, dass wir zu den Spielen pünktlich einen Ostseehafen anlaufen und uns vor einen öffentlich angebrachten Fernseher setzen konnten.
Zum Beispiel in Kröslin, einer modernen Marina an der Peenemündung. In der winzigen Hafenkneipe „Klönschnack“ starren etwa 20 Interessierte auf das winzige TV-Gerät. Die ersten 60 Minuten der Übertragung müssen sie in die tief stehende Sonne schauen, die durch die Panoramascheiben scheint und draußen ein romantisches Bild der Ostsee illuminiert. Was uns nicht vom Spiel der Schweden gegen die Niederländer ablenkt.
Oder in Swinoujscie, bekannter unter dem Namen Swinemünde. In der alten umgebauten Lagerhalle, die aus den Zeiten stammt, als noch die Sowjetarmee hier ihre Schiffe liegen hatte, spielt ein polnischer Folkloresänger mit ellenlangem Bart auf der elektrisch verstärkten Gitarre Songs, deren Inhalt wir zwar nicht verstehen, die aber von allen anderen begeistert mitgesungen werden. Da gerät der im Hintergrund tonlos mitlaufende Fernseher (Halbfinale Portugal gegen Holland) zur Nebensache und wird kaum eines Blickes gewürdigt. Zumal der vorzügliche Apfelkuchen, der herumgereicht wurde, noch besser ist als das Spiel.
Die Insel Ruden aber muss man sich so vorstellen: Viel Natur, Tausende von Vögeln, ein Plumpsklo, ein Schiff des Bundesgrenzschutzes und sonst nichts. Die erste Halbzeit des Halbfinalspiels Tschechien gegen Griechenland schleichen wir am Pier entlang und linsen durch die Bullaugen. Nichts zu erkennen. Während der Pause schlendern wir erneut angelegentlich vorbei und fragen die an Deck plaudernden Bundesgrenzraucher, wie es wohl stehe. 0:0. Spannendes Spiel? Ja. Wir bleiben kurz stehen, schauen aufs Meer oder die eigenen Fingernägel. Jetzt wäre die Gelegenheit, fünfe grade sein zu lassen und uns an Bord zu bitten. Dürfen die das überhaupt? Egal, wir hätten Stein und Bein geschworen, die wackeren Grenzschützer, diese Bewahrer und Bewacher der Demokratie, diese freundlichen jungen Männer, die weder in Sturm noch Seegang verzagen und stets dem Schmuggler und allem Bösen dieser Welt einen Schritt voraus sind, nicht bei ihren Vorgesetzten zu verpfeifen. Doch was machen diese arroganten Schnösel mit ihren uniformen Kurzhaarfrisuren? Sie kehren wortlos zu ihrem vermaledeiten Flimmerkasten zurück, der uns nicht interessiert.
Wir haben schließlich einen Mittelwellenempfänger an Bord. Und wir haben Manfred Breuckmann. Mit gewohnter Verve berichtet der Kommentator vom WDR von einem Spiel, das vor unserem geistigen Auge hin- und herwogt. Was auf dem Spielfeld passiert, müssen wir fantasieren, denn der Empfang ist so schlecht, dass es eine halbe Minute dauert, bis wir begreifen, dass nicht Tschechien das Silver Goal erzielt hat. Irgendwann vermeint einer, den Namen Dellas zu verstehen, und uns wird klar, dass wir einer Sensation beiwohnen durften.
Später spazieren wir lässig wieder am Boot des BGS vorbei. 1:0 für die Griechen, rufen uns die aufgeregten Jungspunde zu. Wissen wir, antworten wir cool, haben wir gesehen. Wir leben schließlich nicht hinterm Mond, der gerade in dunklem Rot über Usedom aufgeht.