: Kein gutes Jahr für die Bayern
Trotz vollmundiger Ankündigungen: Die Saison könnte für die Bayern desaströs enden, denn die Ansprüche bieten keinen Spielraum für Fehlschläge
von MATTI LIESKE
„Ballack hat vollkommen verinnerlicht, was den FC Bayern ausmacht“, lobt Manager Uli Hoeneß aus stolzer Brust seinen Musterschüler. Und in der Tat: Michael Ballack, der brave Fußballer des Jahres, sagt sie alle, diese Sätze aus dem ungeschriebenen Ehrenkodex der Münchner, der seinen letzten Schliff im Mai 2001 erhielt. Damals in Mailand, als die Bayern nach langen Jahren des Strebens und Scheiterns endlich mal wieder Europas Fußballkrone eroberten, ist etwas passiert in den Köpfen der Führungskräfte bei Deutschlands erfolgreichstem Fußballklub. Gaben sie sich vorher noch mit der Rolle des kleinen, aber schlauen Underdogs zufrieden, der die reichen Klubs aus dem Süden und aus England mit Geschick, List und Kampfkraft aufs Kreuz legt, gilt seither nur noch: „Wir sind die Größten.“ Karl-Heinz Rummenigge geriert sich als eine Art Berlusconi des europäischen Fußballs, und Uli Hoeneß kennt überhaupt nur noch einen einzigen Gegner auf dieser weiten Welt: Real Madrid.
Kein Wunder, dass es ihm gefällt, wenn Ballack Sätze sagt wie: „Ich sehe keinen Verein, der besser ist als wir.“ Oder: „Gegen eine Mannschaft mit so vielen Superstars zu spielen und zu gewinnen, macht fast noch mehr Spaß, als selbst für sie zu spielen.“ So etwas möchte er hören, der Bayern-Manager, der mit seinen neidgetriebenen „Affentheater“-Kommentaren zu Reals Beckham-Verpflichtung schon vorher sein Scherflein zur Debatte beigetragen hatte. In Madrid sind sie immer ganz verblüfft über die Vehemenz, mit der die Bayern eine Rivalität schüren, die man bei Real, wo neben dem FC Barcelona die Italiener das Feindbild sind, gar nicht sieht.
Sogar eine Katastrophe wie das Vorrunden-Aus in der letzten Saison der Champions League konnte den Übermut der Bayern nur kurzfristig dämpfen. Die Meisterschaft wurde mit 16 Punkten Vorsprung gewonnen, der Pokal noch dazu, und schon war er wieder da, der alte Glaube an die eigene Unüberwindlichkeit. Selbst ein besonnener Mensch wie Trainer Ottmar Hitzfeld, der sonst wie ein Feuerwehrmann in der Hölle versucht, die verbalen Brände zu löschen, die seine Vorgesetzten legen, fühlt sich bemüßigt, von einem „Riesenhunger“ in der Champions League zu sprechen. Und davon, dass er natürlich „ins Endspiel und gewinnen“ will.
Kaum jemand hierzulande wagt es, den Visionen der Münchner zu widersprechen, auch wenn diese mit ihren Neuzugängen Demichelis, Rau und, sollte er denn kommen, Makaay, eher Löcher stopfen als Qualität steigern. Für die meisten Menschen, ob Trainer, Spieler oder Fans, steht längst fest, dass der FC Bayern wieder deutscher Meister wird und vor einer seiner erfolgreichsten Spielzeiten steht. Dabei könnte es gut eine seiner desaströsesten werden, denn die Ansprüche bieten nicht den geringsten Spielraum für Fehlschläge.
„Die Champions League nach der Vorrunde ohne Bayern München kann nicht sein, darf nicht sein“, hat Hoeneß als Devise ausgegeben. Und das kurze Schmierentheater um den Trainer nach dem letztjährigen Aus in Europas Eliteliga gab einen Vorgeschmack darauf, wie brüchig das Konstrukt Bayern München geworden ist. Hitzfeld hat durch seine Erfolge die Messlatte so hoch gelegt, dass die Luft zum Atmen für ihn langsam Mount-Everest-Konsistenz annimmt. Franz Beckenbauer, oft Katalysator überkochender Emotionen, häufig aber auch ausgleichendes Element, ist drauf und dran, sich endgültig Richtung WM-Organisation zu verabschieden. Und im Falle von Uli Hoeneß mehren sich die Anzeichen, dass sich seine Ära ebenso überlebt hat wie die von Reiner Calmund in Leverkusen. Die Ausfälle gegen Real, die vollkommen überzogene Kritik an Spielern wie Sebastian Deisler und Zé Roberto, die schon im Vorfeld der Saison Druck und Konfliktpotenzial aufbaut, die pauschalen Angriffe gegen Fanklubs, die permanenten Ausfälle gegen die Deutsche Fußball-Liga (DFL) und deren Bestreben, das Überleben der wirtschaftlich schwächeren Klubs zu sichern, offenbaren einen Größenwahn, der den Realitäten in dieser für den Fußball schwierigen Zeit kaum angemessen ist. Die „Abteilung Attacke“ mag dafür gut sein, in Phasen von Expansion und Glorie Impulse und Reize zu liefern, als Krisenmanager sind die Bayern-Verantwortlichen eine Katastrophe.
Wenn alles gut läuft und die Münchner ihren eigenen Vorschusslorbeeren gerecht werden, gewinnen sie heute abend gegen Eintracht Frankfurt, setzen sich in der Bundesliga vorne fest und kommen in der Champions League angemessen weit. Wahrscheinlicher ist, dass die ersten Pleiten Panik, Zwist und Chaos auslösen. Nein, Meister werden die Bayern diesmal nicht, in einer Liga, deren Spitze enger zusammenrückt. Wer dann? Wie wär’s mit Hertha BSC?