Afrikanerinnen entwickeln Deutsche

Entwicklungshilfe geht meist so: Weiße Fachleute aus dem Norden vermitteln dem armen Süden ihr Know-how. Dass es – beim Hintern des Elefanten! – auch andersherum funktioniert, zeigt ein Workshop zu „Gender in der konstruktiven Konfliktbearbeitung“

von UTE SCHEUB

Ein sommerliches Wochenende im Berliner Haus der Demokratie: Etwa drei Dutzend Frauen und sechs Männer haben sich zu einem Workshop des Weltfriedensdienstes (siehe Randspalte) versammelt. Sein Titel verheißt „Gender in der konstruktiven Konfliktbearbeitung“, und ihn wörtlich nehmend, versuche ich mir vorzustellen, wie die Geschlechterwerkzeuge für diese Bearbeitung aussehen könnten: HämmerInnen? SägInnen und FeilInnen?

Die Trainerinnen Martine Bonny Dikongue und Marjorie Jobson stammen aus Kamerun beziehungsweise Südafrika. Diesmal also soll der Süden den Norden entwickeln. Wie die beiden so zusammenstehen, sind sie ein beeindruckendes Paar: Bonny Dikongue, 42 Jahre alt, tiefschwarz, ruhig, würdevoll, überragt mit ihrer Größe von bestimmt 1,90 Meter selbst den größten deutschen Mann im Raum. Ob es an ihrer schieren Körpermächtigkeit liegt, dass die Männer so still sind? Die Ökonomin arbeitet seit 1995 im Auftrag von Ministerien und Hilfsorganisationen als selbstständige Trainerin in Sachen Unternehmensberatung, Konfliktbearbeitung und Geschlechterfragen.

Auf diese Weise kommt sie in ganz Kamerun herum, aber auch in Konfliktregionen wie der Demokratischen Republik Kongo oder Ruanda. Dort hat sie im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) mit den Überlebenden des Völkermordes gearbeitet: In sechswöchigen Intensivkursen lernen die Menschen, das zerbrochene Basisvertrauen zueinander allmählich wieder herzustellen. Bonny Dikongue spricht zwölf Sprachen: Französisch, Englisch und verschiedene Sprachen Kameruns und Ruandas. Sie ist zum ersten Mal in Europa, und manches irritiert sie sichtlich.

„Marje“ Jobson, 52 Jahre alt, könnte ihr äußerlich nicht unähnlicher sein: blond, sommersprossig, zierlich und klein, zurückhaltend bis zur Schüchternheit, immer mit leiser Stimme sprechend. Sie dürfte zu jenen Menschen gehören, die ständig unterschätzt werden. Dabei besitzt sie eine stupende politische Weitsicht, gespeist aus einem von Aktivitäten geradezu überbordenden Leben.

Es scheint nichts zu geben, was die südafrikanische Ärztin noch nicht gemacht hat – oft als einzige Weiße unter vielen Schwarzen. Sie arbeitete als Kinderärztin, Anästhesistin, Bioethikerin, Eheberaterin, Seelsorgerin, Friedenstanzlehrerin, Orff-Musiklehrerin, Jugendforscherin, Genderforscherin, Behindertenforscherin, Kinderrechtstrainerin, Gemeindeberaterin, Aidsexpertin. Sie engagierte sich bei Black Sash, einer von weißen Frauen gegründeten Menschenrechtsorganisation, sie war Trainingsdirektorin beim südafrikanischen Institut für Menschenrechte, nunmehr arbeitet sie für All Africa Women for Peace, eine Organisation, die sich unter anderem für die Einbeziehung der Frauen in den innerkongolesischen Friedensprozess einsetzt.

Der Workshop beginnt mit einer Vorstellungsrunde. Bonny Dikongue drückt den TeilnehmerInnen eine Streichholzschachtel in die Hand: Jede und jeder darf nur so lange reden, wie ein Streichholz brennt. Manche verbrennen sich die Finger beim Versuch, in wenigen Sätzen ihre ganze Lebensgeschichte unterzubringen. Eine Methode, die SelbstdarstellerInnen zuverlässig verstummen lässt und für jede Menge Situationskomik sorgt. Die stumme Botschaft: Keine und keiner ist hier wichtiger als die anderen.

Die Altersspanne der Teilnehmenden reicht von 20 bis 73; nicht wenige sind noch Studentinnen, andere angehende Genderforscher oder Entwicklungsexpertinnen, wieder andere haben in Entwicklungs- oder in deutschen Multikultiprojekten gearbeitet.

Erste Übung: Wir sollen darstellen, wie eine afrikanische Frau sich hinsetzt. Wie denn? Keine Ahnung. Und wie klettert sie einen Laternenpfahl hoch, um eine Lampe zu reparieren? Keine Ahnung. Halten afrikanische Frauen ihren Rock mit einer Hand zu, während sie sich mit den beiden anderen festhalten und mit der vierten Hand die Birne rausschrauben? Uff. Später wird Bonny die Übung für gescheitert erklären: Wir sind zu kontrolliert, zu wenig spontan. Und uns dämmert die Einsicht: Europäische Frauen sind Hosenträgerinnen. Von Zen oder der Kunst, eine Lampe zu reparieren, ohne den Untenstehenden einen Blick auf den Slip zu gönnen, verstehen wir rein gar nichts.

Bonny Dikongue arbeitet gerne mit solchen Übungen, durch die die Teilnehmerinnen spielerisch lernen, sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen. Noch lieber aber erzählt sie Geschichten. Eine ihrer Lieblingsgeschichten geht so: Es war einmal ein Dorf in der Nacht. Es war dort so dunkel, dass man überhaupt nichts mehr sehen konnte. Aber die Einwohner fühlten, dass da ein fremdes Lebewesen war. Die erste Person sagte: Ich hab es angefasst und dabei etwas Langes gespürt. Nein, sagte die zweite Person, es war etwas Dickes. Nein, sagte die dritte Person, etwas Nasses. Nein, sagte die vierte Person, etwas Trockenes. Sie redeten und redeten, aber kamen zu keinem Ergebnis, was das fremde Wesen sein könnte.

Erst am nächsten Tag sahen sie, was es war: ein Elefant. „Alle“, schließt Bonny Dikongue ihre Erzählung, „hatten ihn berührt, aber alle an einer anderen Stelle! Wenn die Menschen ihre jeweiligen Erkenntnisse gegenseitig akzeptiert hätten, dann hätten sie den Elefanten erkannt. Alle Erkenntnisse zusammenzufügen, das heißt Frieden.“

Marje Jobson ist Spezialistin für Tänze. Afrikanische Begrüßungstänze, arabisch-indische Friedenstänze – ständig schwenken wir Arme und Hintern und Beine. Außerdem hat sie ein Video aus Südafrika mitgebracht. Es handelt von einer jungen schwarzen Bürgermeisterin in Eastern Cape, Thandaswa Ndita, die mit der südafrikanischen Verfassung – der wohl progressivsten der Welt – wedelnd von Dorf zu Dorf zieht.

„Befreit euch, die Verfassung ist auf eurer Seite!“, ruft sie in der Dokumentation mit strahlendem Lächeln den schwarzen Frauen zu, denen zuvor, nach traditionellem Recht, jede Erbschaft untersagt war. Wenn der Vater der Familie starb, transportierten die männlichen Verwandten alles ab, die Witwe und ihre Kinder blieben oft in einem leeren Haus zurück.

Die neue Gleichheit sei ja gar nicht einzusehen, knurrt ein schwarzer Dorfpatriarch, „Adam wurde vor Eva geschaffen“. Jawoll, „die Männer sind höher gestellt“, eilt ihm ein anderer zur Seite. „Auch wenn sie besoffen sind?“, fragt die Bürgermeisterin schalkhaft. „Besoffene Männer wollen den Haushaltsvorstand spielen?“ Sie fällt vor Lachen fast vom Stuhl, und die Männer lächeln verlegen. Eine wunderbare Szene.

Sie sei neidisch auf dieses Wedeln mit der Verfassung, sagt eine Teilnehmerin bei der Diskussion. Nach der deutschen Vereinigung sei ja leider keine neue gemeinsame Verfassung verabschiedet worden, das Zusammenwachsen sei auch gescheitert, weil man keine Basis des Zusammenlebens habe aushandeln können. Ja, sagt Jobson, die südafrikanische Gesellschaft sei zwar immer noch gewalttätig, aber wenigstens habe sie eine Vision von sich selbst, von der „Regenbogennation“. Und wir? Wir Ossis und Wessis streiten uns noch immer um das Hinterteil des Elefanten.

Dann, nach vielen weiteren Übungen, Tänzen und Geschichten, die Auswertungsrunde der TeilnehmerInnen. Die meisten sind zufrieden, nur einer der Männer fand es „schrecklich“, wie hier Genderstereotype „inszeniert“ worden seien, statt die Grenzen zwischen den Geschlechtern niederzureißen. Es sei interessant gewesen, sagen einige, die sich mit Möglichkeiten zur Überwindung von Gewalt in Palästina oder auch in deutschen Familien herumschlagen, zu erfahren, wie man in Ruanda oder Südafrika Gewalt zu überwinden und den Dialog zwischen lange verfeindeten Konfliktparteien zu eröffnen versucht. Es sei anregend gewesen, neue Übungsmethoden kennen zu lernen, sagen andere, die selbst Workshops durchführen.

Besonders gut ist das Geschichtenerzählen angekommen. „Im Grunde“, sagt eine Frau in einer Kaffeepause, „besteht ja alles aus Geschichten. Jedes Leben ist eine Story, die wiederum aus tausenden von kleinen Geschichten besteht. Wenn man sie gut erzählt und die Pointe lehrreich ist, sind sie allesamt hoch spannend.“

Die afrikanische Entwicklungshilfe für die Deutschen, sie bestand hauptsächlich aus: Spaß – der besten Voraussetzung, unbefangen aufeinander zuzugehen.

UTE SCHEUB, geboren 1956, lebt als freie Journalistin in Berlin