: Hass ist ein zerstörerisches Gefühl
Die Schauspielerin Marie Trintignant starb in Paris an den Hirnverletzungen, die sie nach einem Streit mit ihrem Freund Bertrand Cantat erlitt
Marie Trintignant, 41jährige Filmschauspielerin, ist tot. Sie erlag gestern vormittag, in Paris, ihren Hirnverletzungen. Ihr Lebensgefährte, der 39jährige Rocksänger Betrand Cantat, der des Totschlags verdächtigt wird, ist im Gefängnis im litauischen Vilnius. Die große Anhängerschaft der beiden bekannten französischen Künstler bleibt ratlos um mit einem Wust von Gefühlen zurück. Nadine Trintignant, die Mutter von Marie, sagte vor Gericht in Vilnius vor zwei Tagen, angesichts des mit Handschellen und vor die Augen gehobenen Händen zwei Meter entfernt von ihr sitzenden Cantat: „Ich versuche, nicht zu hassen. Denn Haß ist ein zerstörerisches Gefühlt. Aber es fällt mir sehr, sehr schwer, wenn ich den geschundenen Körper meines Kindes, das im Koma liegt, sehe.“ Der entgegnete, daß es kein Verbrechen sein, sondern ein Unfall. Und entschuldigte sich bei zwei Familien: der von Marie und seiner eigenen.
Zu der Tragödie ist es vor fünf Tage in einem Hotelzimmer in Vilnius gekommen. Die Schauspielerin hielt sich zu Dreharbeiten an dem Fernsehfilm „Colette“ in der litauischen Hauptstadt auf. Der Rocksänger begleitet sie. In der Nacht zu Montag brach Streit zwischen den beiden aus. Doch erst im Morgengrauen kam Trintignant ins Krankenhaus. Da lag sie bereits seit Stunden im Koma. Zuvor hatte Cantat offenbar versucht, sich mit Medikamenten selbst das Leben zu nehmen. Zwei Operationen, davon die letzte durch einen vom Pariser Kulturminister im Staatsflugzeug nach Vilnius geschickten französischen Arzt, konnten den fatalen Ausgang nicht verhindern. Am letzten Tag ihres kurzen Lebens wurde die bereits hirntote Trintignant am Donnerstag nach Paris geflogen. Ihre Eltern, der Schauspieler Jean-Louis und die Regisseurin Nadine wollten, daß sie „in Frankreich stirbt“.
Trintignant ist unter anderem durch Filme mit den Regisseuren Chabrol (“Betty“) und Truffaut (“Deux Anglaises“), bekannt geworden. Berühmt wurde sie der Interpretation von Frauen, die am Rande balancieren: eine Prostutierte, eine Hysterikerin, eine Alkoholikerin... Cantat ist das Idol von zwei Generationen französischer Rockfans. Er gründete 1981 zusammen mit Klassenkameraden in Bordeaux die Gruppe „Noir Désir“, die seither 2,1 Millionen Exemplare ihrer sechs Alben verkauft hat. Cantat ist die Stimme und zugleich der Texter von „Noir Désir“. Die Gruppe ist in allen möglichen linken Zusammenhangen aktiv - von der Alterglobalisierungsbewegung bis hin zum dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. Zuletzt machte Cantat Furore und erntete landesweiten Beifall, als er bei einer Life-Fernsehsendung den damaligen Top-Manger des franzsischen Multis Jean-Marie Messiers kritisiert hat. Trintignant und Cantat haben sich erst vor sechs Monaten kennengerlernt. Beide waren gegenüber den Medien diskret über ihr Privatleben. Sie zogen sehr schnell in Paris zusammen. Weder für sie, die vier Söhne aus drei verschiedenenen Beziehungen hat, noch für ihn, der Vater von zwei Kindern ist, war es eine erste Beziehung. Für die Umgebung der beiden war es eine große Leidenschaft. „Marie lebt in einer Blase aus Verliebtheit“, hieß es während der Dreharbeiten in Vilnius.
Von einer Gewalttätigkeit des Sängers, dessen Lieder auch von dem Kampf gegen Gewalt handeln, war in der Öffentlichkeit bislang nichts bekannt. Die Mutter der Toten ist die einzige, die jetzt von „frühren Hinweisen“ auf Angriffe von Cantat gegen Frauen gesprochen hat. „Wenn wir das gewußt hätten, wären wir jetzt nicht so weit“, sagte sie in Vilnius vor Gericht. Sobald die Tragödie aus dem Hotelzimmer bekannt wurde, reiste die komplette Gruppe des Musikers nach Vilnius. Auch seine Ex-Frau flog hin. Jetzt ermitteln die litauischen Behörden wegen schwerer Schläge mit tödlichem Ausgang. Die französische Justiz will die Auslieferung des Musikers beantragen. Da der mutmaßliche Täter und das Oper Franzosen sind, ist das nach internationalem Recht möglich.
Bei Trintignants letztem Film „Colette“, in dem sie die Hauptrolle spielte, führte ihre Mutter Nadine Regie. Genau wie bei dem allerersten Film, in dem die damals vierjährige Marie auf dem Arm ihres schauspielernden Vaters Jean-Louis auftauchte. Sein Titel: „Mon amour, mon amour“. Cantat veröffentlichte am 11. September 2001 das Album „Des visages des figures“. Es könnte die letzte Platte von „Noir Désir“ sein. Für dieses Jahr hat die Rockgruppe bereits alle weiteren Auftritte abgesagt. Auf ihrer Homepage ist das Diskussionsforum abgeschaltet. Stattdessen leuchtet dort ein Wort: Bitter. DOROTHEA HAHN