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Archiv-Artikel

I can’t stand the rain

Die Zelte standen unter Wasser, die Zuschauer im Matsch: Das Rockfestival von Roskilde versank vergangene Woche in Regenfluten. Bands wie die Pixies und The Wire überzeugten trotzdem

VON ANDREAS BECKER

Wenn dieser Bericht ein wenig irre klingt, dann liegt das daran, dass ich in diesem Moment mit matschigen, durchnässten Pumaschuhen, die ich morgen früh wegschmeißen werde – jetzt ist es Sonntagabend 23 Uhr – in der Pressebaracke eines Rockfestivals sitze, dass als eine der größten Schlammcatchpartys in die Geschichte eingehen wird. Roskilde 2004.

Das Merkwürdigste ist, dass dieser elende Regen, der immer wieder über dieser verdammten Fläche eines Bullen- und Kuhauktionsortes niederging, die meisten Besucher einfach nicht umhauen konnte. Noch heute, nachdem die Kids schon eine Woche hier auf den teilweise überfluteten Wiesen campen, sehen viele aus wie frisch eingekleidet. Eine perfekt geschminkte 24-jährige Norwegerin, die in Schottland graduiert hat, meinte gerade beim Gig von Muse, es sei eben alles eine Frage der perfekten Schuhe. Als sie meine sah, lachte sie nur.

Es gibt hier den Trick, sich direkt um die Füße eine Plastiktüte zu wickeln, dann zieht man ein, zwei Schichten Socken drüber und dann ganz normale fette Boots. Oder gleich Gummistiefel. 1997, da hatte es nur zwei Tage ununterbrochen geregnet und dann schien die Sonne, hatte das Festival einen extra Raum für verlorene, im Matsch fest gesogene Einzelschuhe eingerichtet, wo viele Schuhlose nach Tagen ihren Stiefel wiederfanden. Wenn nachmittags kurz die Sonne rauskommt, riecht der Matsch komisch, nicht nach Pisse, wie an den Rändern des mehrere Quadratkilometer großen Katastrophengebietes, irgendwie anders, angebrannt vielleicht. Man wird leicht high davon.

Aber Roskilde funktioniert auch unter diesen Bedingungen perfekt. Über 10.000 Leute arbeiten unentgeltlich für das Festival. Die „Crowd safety“-Truppe mit ihren orangefarbenen Westen hat ihre Augen überall. Wenn jemand nur ins Schwanken kommt, reicht man ihm schon einen Becher Gratiswasser. Die Organisatoren rechnen sogar damit, ein Plus zu machen und das Geld einem Projekt in Israel zu spenden. Auf dem Festivalgelände hatte man die dortige Grenzmauer in der Originalhöhe von acht Metern nachgebaut, mit dem Spruch „Make Peace, Not Walls“ drauf. Seit 2000 neun Männer beim Pearl-Jam-Konzert zu Tode kamen – bis heute ist nicht wirklich klar, wie das passieren konnte –, ist man in Roskilde besonders achtsam. Und die Stimmung ist seitdem leider längst nicht mehr so ausgelassen. Ausflippen, ja sogar wildes Tanzen, wird schon mit kritischen Blicken verfolgt. Vor den großen Bühnen sind extra Gräben eingerichtet, in die nur eine begrenzte Anzahl Leute eingelassen wird. Wie alles hier in diesem Abbild eines perfekten Minisozialstaats, wird die Sache konsequent mit Ampeln geregelt. Wenn bei „IN“ rot ist, kann man halt nicht nah vor die Bühne. Keiner würde hier je versuchen, diese Bereiche zu stürmen.

Musik? Gab es auch. Bowie fiel wegen einer Schulterverletzung aus, die ganze Tour ist abgesagt. Stattdessen holte man die Maskenmetaller und Showwixer Slipknot, die eher Brech- als Heavy Metal machen. Die Pixies spielten ein schönes Set, stellten sich am Ende an die Bühnenkante und fotografierten sich gegenseitig. Revival für die Altersversorgung, sehr sympathisch unverlogen. Wire waren klasse. Explodierten nur so vor Energie, hauten sogar am Ende Punknummern raus, ohne dass es irgendwie peinlich wurde. Ganz ganz groß auch die !!!. Am letzten Tag prügelten sie sich durch ihr Material, brüllten irgendwas von Mud und Love. Der Sänger fragte: „Wollt ihr nicht zu Franz Ferdinand?“, die parallel spielten, und keiner ging weg. Das hätte eh nicht wirklich funktioniert, weil am letzten Tag der Matsch so tief war, das man nur noch auf Wegen laufen konnte, die unter dem Matsch irgendwo Asphalt hatten. Ortskundige voran! The Hives waren lustig peinlicher Retrotrash, der Sänger geschminkt und Yeah! rufend, ohne eine Antwort zu kriegen. Die Wikinger werden auch immer ruhiger, sogar bei ihren Lokalmatadoren rasten sie nicht mehr aus.

Es wird kälter, vielleicht sind es noch so 7 Grad, meine Hose ist voll Pampe, die langsam trocknet, irgendein ein Organisationsdäne zieht die Stecker um mich herum raus. Ich rutsch jetzt noch mal durch die Grütze zum Grünen Zelt, vielleicht gibt’s da noch was von der Tuborg Plörre. Ach ja, Rettet Christiania wollte ich noch sagen. Was auch von Mister Beenie Man unterstützt wurde, der einen Christiania-Fahnenschwenker auf die Bühne ließ. Komisch, es trommelt gar nicht mehr auf das Dach. Der Regen ist müde. So am I.