: Erst der Schlamm, dann die Behörden
Die Flutkatastrophe in der Dominikanischen Republik hat Ende Mai auch etliche illegal im Land lebende Haitianer obdachlos werden lassen. Zur Strafe sollen sie jetzt auch noch abgeschoben werden. Sie wissen nicht mehr weiter
SANTO DOMINGO taz ■ Erst kam die große Schlammflut über sie, dann wurden sie interniert, jetzt plant die dominikanische Regierung ihre Abschiebung. 128 illegale Haitianer, die bei der Flutkatastrophe Ende Mai in Jimaní nur knapp dem Tod entkamen, sollen jetzt ausgewiesen werden. Begründung: Sie besäßen keine offizielle Aufenthaltsgenehmigung. Die Mehrzahl von ihnen lebte im Stadtteil La Cuarenta, der am 24. Mai von den Schlammmassen völlig zerstört wurde. Nach offiziellen Angaben kamen in Jimaní 397 Menschen um, 272 gelten als vermisst.
Während jedoch die dominikanischen Opfer der Flutwelle zum Teil bereits aus den Notunterkünften in hölzerne Ersatzhäuser umgezogen sind, die mit internationalen Geldern erbaut wurden, gingen die illegalen haitianischen Flutopfer leer aus. Das ihnen als Behelfswohnheim angebotene Lager aus 42 Großzelten hat sich inzwischen faktisch in ein mit Stacheldraht gesichertes Internierungslager verwandelt, das von dominikanischen Militärs bewacht wird.
Der dominikanische Katastrophenschutz hat die offizielle Aufhebung des Katastrophenfalls angekündigt. „Dann wird das Campamento 2 genannte Lager aufgelöst, und die Bewohner werden abgeschoben“, hat Solain Pierre von Movimiento de Mujeres Dominico-Haitianas (Mudha) inoffiziell erfahren. Die Bewegung dominikanisch-haitianischer Frauen betreut die Lagerinsassen mit Unterstützung der Diakonie Katastrophenhilfe. Eine Abschiebung sei ein Verstoß gegen einschlägige Gesetze und ein Skandal in Anbetracht des Schicksals der Menschen, findet Pierre. „Die meisten haben mehrere Familienangehörige verloren. Sie sind verzweifelt und wissen nicht, wohin.“
Dazu komme, dass mehrere der internierten 45 Frauen, 36 Männer und 47 Kinder bereits seit Jahren in der Dominikanischen Republik lebten. Sie hätten sich wie viele andere auch mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser gehalten. Manche der Kinder sind sogar im Land geboren. Nach der dominikanischen Verfassung haben sie Anspruch auf die Staatsangehörigkeit. Ein Grundrecht, das ihnen jedoch verweigert wird.
Die Abschiebung von Katastrophenopfern ist eine nicht unübliche Praxis. Ähnliches passierte bereits vor fünf Monaten, als im nördlichen Grenzbereich Landstriche unter Wasser gesetzt wurden. Die damals in Notunterkünfte evakuierten 500 haitianischen Sin Papeles wurde später deportiert, wie Manuel Dandré von der Internationalen Migrationsorganisation (OIM) bestätigt. „Ähnliches wird wohl auch jetzt passieren“, fürchtet Dandré.
Offizielle Stellungnahmen gibt es nicht. Beim zuständigen Katastrophenschutz sind die Verantwortlichen immer in einer Konferenz, wenn nach den haitianischen Flutopfern gefragt wird. Und auch bei der Einwanderungsbehörde sind alle zuständigen Personen stets in wichtigen Besprechungen.
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) schätzt, dass zwischen 500.000 und 700.000 „Haitianos“, wie sie mit despektierlichem Unterton genannt werden, auf dominikanischem Boden leben. Die Bewegung dominikanisch-haitianischer Frauen fordert seit Jahren, den im Land geborenen „Haitianos“ die Staatsbürgerschaft anzuerkennen. Bisher haben alle Regierungen diese Forderung mit der Begründung abgelehnt, dass die Eltern als Arbeitsmigranten nur vorübergehend im Land seien.
Mudha hat inzwischen die dominikanische Regierung und die Katastrophenhilfe aufgefordert, die Abschiebung der Flutopfer auszusetzen. An eine Verhinderung der Deportation glaubt noch nicht einmal mehr Mudha. Gemeinsam mit haitianischen Menschenrechtsorganisationen hat Mudha ein Gelände bei Fonds Parisienne, knapp 20 Kilometer von der dominikanisch-haitianischen Grenze, gefunden, auf dem ein kleines Dorf für die 128 Personen des „Campamento No. 2“ aufgebaut werden könnte. „Ein Teil der internationalen Hilfsgelder, die die dominikanische Regierung bekommen hat, könnte dafür verwendet werden. Dafür brauchen wir aber Zeit und finanzielle Unerstützung“, sagt Solain Pierre.
Dabei ist Haiti noch viel schwerer von der Katastrophe betroffen. In einigen Hochebenen steht auch mehr als sechs Wochen nach der Flut noch immer das Wasser. Nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung von humanitärer Hilfe (OCHA) sind in Haiti mehr als 1.100 Tote gefunden worden. Etwa 1.600 Menschen werden noch immer vermisst.
HANS-ULRICH DILLMANN