: Nazi-Namen am Schultor
Mehr als 100 Schulen sind nach Nationalsozialisten benannt, schätzt ein Historiker
BERLIN taz ■ Auf die Idee, eine Schule für Körperbehinderte nach einem Rassenhygieniker und zeitweisen SA-Mitglied zu benennen, kämen die Wenigsten. Doch in Dresden kommt Rainer Fetscher zu solchen Ehren.
Der Arzt hatte von 1923 an „erbbiologische Karteien“ zur Erfassung „biologisch minderwertiger Personen“ angelegt. Mindestens 65 Menschen hat er Anfang der 30er-Jahre sterilisieren lassen. Hitlers „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 bezeichnete er als „verheißungsvollen Auftakt“, da es „nicht nur die Möglichkeit rassenhygienischer Unfruchtbarmachungen schafft, sondern auch gestattet, einen Zwang auszuüben“. Im selben Jahr trat Fetscher in die SA ein.
Das ist eines von mehreren Beispielen zweifelhafter Namengeber für Schulen, die der Chemnitzer Historiker Geralf Gemser in einer gerade erschienenen Studie zusammengetragen hat. Bisher hat Gemser sich nur die rund 2.000 Schulen in Sachsen genau angeschaut und unter den Namengebern acht NSDAP-Parteiangehörige, drei SA-Mitglieder und einen SS-Mann ausgemacht. Was den Historiker bewegt: „Nahezu alle nach NSDAP-Mitgliedern oder systemnahen Akteuren benannten Schulen verzichten darauf, auf Internetseiten selbstkritisch zu problematischen Details der Biografien Stellung zu beziehen“.
Insgesamt analysiert Gemser gut 30.000 Schulen bundesweit. Mehr als 100 Schulen mit NS-belasteten Namengebern, so vermutet er, gibt es in Deutschland, und das 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik.
Ein Beispiel, das bereits für Furore sorgte, ist die erst 2007 nach dem Raketenbauer Klaus Riedel benannte Schule in Bernstadt in der Oberlausitz (taz berichtete). Kritiker machen Riedel mitverantwortlich für den Tod von bis zu 20.000 Zwangsarbeitern, die bei der Produktion der Naziwaffe V2 starben – und Tausenden, die bei Angriffen mit der Rakete getötet wurden. Die Andert-Mittelschule im sächsischen Ebersbach ist gleich nach drei NSDAP-Mitgliedern benannt: nach Hermann Andert und seinen beiden Söhnen Herbert und Werner. Bei der Bewertung von Rainer Fetschers Biografie tun sich Historiker schwer. Die einen sehen den Namengeber der Dresdner Schule als Wegbereiter der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Andere halten ihm zugute, dass spätestens mit den Morden des Euthanasieprogramms bei ihm ein Umdenken eingesetzt haben soll. 1934 wurde er zur Aufgabe seiner Dozentenstelle an der TH Dresden gezwungen, 1935 verließ er die SA. Danach soll er in seiner Praxis Juden und NS-Verfolgte behandelt haben. In der DDR wurde Fetscher als Widerstandskämpfer gefeiert – wohl auch, weil er am 8. Mai 1945 angeblich von der SS erschossen wurde. Doch das ist unter Historikern umstritten, manche vermuten, dass die Kugeln von der Roten Armee kamen.
Widersprüchlich, das wäre wohl das mildeste Urteil, das man über Fetschers Leben abgeben kann. Die Dresdner Schule selbst feiert ihn auf ihrer Internetseite als „aktiven Gegner Hitlers“ – von einer SA-Mitgliedschaft oder von erbbiologischen Karteien ist dort keine Rede. Und das soll so bleiben. „Wir sehen im Moment keinen Handlungsbedarf“, sagt die Schulleiterin Susanne Petschke. WOLF SCHMIDT
meinung und diskussion SEITE 12