Pharmabosse jammern bei Schröder

Gestern Abend waren die Chefs der großen Pharmafirmen zu Gast beim Kanzler. Sie wollten die Preisgrenze für Originalpräparate wegverhandeln – für den „Forschungsstandort Deutschland“. Kritische Pharmakologen sind entsetzt

VON ULRIKE WINKELMANN

Mit dem „Forschungsstandort Deutschland“ argumentiert die Pharmaindustrie immer, wenn der Staat versucht, die Arzneimittelpreise unter Kontrolle zu bringen. Tatsächlich aber, sagt der Bremer Pharmakologe Peter Schönhöfer, „gibt es den deutschen Forschungsstandort fast nicht mehr“. Die Qualität der klinischen Forschung sei „längst ruiniert“. Denn seit den 1980er-Jahren liege die Entwicklung von Medikamenten komplett in den Händen der Industrie.

„Das hat zu einem dramatischen Qualitätsverfall geführt. Denn die Industrie interessiert sich nicht für hochwertige Wissenschaft, sondern für Produktpromotion“, erklärt Schönhöfer, Doyen der Pharmakritik in Deutschland. In Großbritannien oder Frankreich etwa gebe es staatliche Institute für klinische Forschung. „In Deutschland hat man sich das gespart.“

Entsprechend kommentierte Schönhöfer auch das Treffen einiger Pharmachefs gestern Abend im Kanzleramt: „Da geht es nicht um den Standort Deutschland“, sondern darum, den Markt zu sichern für hochpreisige Medikamente internationaler Konzerne – mit ihren Zentralen in den USA, Großbritannien und Schweden.

Thema der Runde, die gestern nach taz-Redaktionsschluss begann, war vor allem die Frage, ob Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) einen Teil der Gesundheitsreform zurücknehmen würde: die so genannte Festbetragsregelung. Diese Regelung sieht vor, dass ab 2005 auch patentgeschützte Medikamente nur bis zu einem bestimmten Betrag von den Krankenkassen bezahlt werden sollen. Daher wirkt sie wie ein Preisdeckel.

Patentgeschützte Arzneien sind bisher die Goldesel der im Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA) versammelten Großkonzerne: Fällt das Patent, fällt auch der Preis, denn dann muss das Mittel mit den Nachahmer-Produkten konkurrieren.

Ihr Patent, meint Schönhöfer und mit ihm praktisch die gesamte industrieunabhängige Pharmakologie, haben diese Präparate jedoch gar nicht verdient. „Seit 1990 sind 400 neue Substanzen auf den deutschen Markt gekommen – davon waren sieben echte Innovationen“, sagt Schönhöfer. Rund 25 hätten leichte Verbesserungen gebracht, aber 370 Arzneien seien „Scheininnovationen“ gewesen, „die nur gemacht werden, um die Preise zu erhöhen“.

Die hohen Preise für solche Präparate seien dem VfA auch deshalb so wichtig, weil sie nur in Deutschland automatisch von den Kassen erstattet würden, erklärt Florian Lanz, Sprecher des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen (BKK). Deshalb seien sie hier im europäischen Vergleich meist zuerst auf dem Markt. „Die europäischen Nachbarn gucken dann erst einmal, wie sich das entwickelt.“ Die BKK hat ausgerechnet, dass im Sparpaket der Gesundheitsreform ohne die Festbeträge eine Milliarde Euro fehlen würde.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) war gestern Abend auch geladen. Schmidts Sprecher Klaus Vater erklärte vorab, sie werde die Festbeträge verteidigen – „die stehen im Gesetz“. Die Ministerin hat die Festbeträge im Hickhack um ihre Reform als Erfolg für sich verbucht. Nicht nur die Patienten müssten draufzahlen, auch die Pharmaindustrie, so ihr Argument.

Eine Niederlage Schmidts gegenüber den Chefs von Aventis, GlaxoSmithKline & Co würde sich nahtlos an einen Vorgang vom November 2001 anschließen: Nach einem Dinner der VfA-Bosse beim Kanzler kippte dieser damals die von Schmidt geplanten prozentualen Preisnachlässe für VfA-Pillen. Stattdessen zahlte die Industrie einmal 200 Millionen Euro. „Ablasshandel“ wurde das damals genannt.