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Archiv-Artikel

„Sie werden sich wundern“

Film auf Speed: Ein Gespräch mit Jonas Åkerlund, dem Regisseur von „Spun“, über Ernsthaftigkeit und Anti-Drogen-Botschaften, Witze, die beim Drehen entstehen, und das Comeback Mickey Rourkes

Interview HARALD PETERS

taz: Herr Åkerlund, Sie sind vor allem mit Musikvideos für Smashing Pumpkins, The Prodigy und Madonna bekannt geworden. Nun haben Sie mit „Spun“ ihren ersten Film gedreht. Es geht um die Chrystal-Speed-Szene in L. A. Was war dabei der entscheidende Ansatz?

Jonas Åkerlund: Schwer zu sagen. Ich hatte eigentlich verschiedene Ideen. Hauptsächlich ging es mir darum, einen bestimmten Lebensstil zu porträtieren. Ich wollte den Alltag meiner Figuren genau beobachten und einen Film machen, der allein von ihren Charakteren getragen wird.

Wieso haben Sie dabei auf eine funktionstüchtige Geschichte verzichtet?

Die Geschichte hat mich einfach nicht so richtig interessiert. Mir ging es immer um die Figuren. Die Figuren waren faszinierend, die Geschichte hingegen hatte große Lücken. Und ich könnte jetzt stundenlang erzählen, wo etwas Wichtiges im Drehbuch fehlt. Aber darum geht es letztlich nicht. Viel entscheidender war für mich, dass ich einen unterhaltsamen Film drehen wollte. Und seltsamerweise glaube ich mittlerweile, dass es dem Film sehr gut tut, dass er keine Geschichte hat. Er funktioniert für die Dauer von anderthalb Stunden, und er hat sogar eine Botschaft.

Und was für eine Botschaft wäre das?

Eine Anti-Drogen-Botschaft!

Die Botschaft ist aber eher subtil.

Ein Film sollte seine Zuschauer nicht belehren. Also hatte ich auch nie die Absicht zu erzählen, dass man stirbt, sobald man Drogen nimmt, oder dass man ins Gefängnis wandert, wenn man mit Drogen handelt. Nimmt man den Film aber als Ganzes, vermittelt er sehr wohl eine deutliche Ahnung davon, dass dieser Lebensstil gewisse negative Begleiterscheinungen mit sich bringt. So gesehen betrachte ich „Spun“ als Anregung, sich gegen Drogen zu entscheiden. Ob man diese Anregung annimmt, bleibt einem allerdings selbst überlassen. Aber der Film hat einen durchaus ernsten Unterton.

Nicht ganz so ernst scheint mitunter die filmische Umsetzung. Sowohl die Figuren als auch die Dinge, die sie tun, wirken oft haltlos übertrieben.

So könnte man es sehen. Doch tatsächlich sollte der Film so glaubwürdig sein wie nur möglich. Und so unglaubwürdig es auch klingen mag: Die Szene, die ich porträtiere, ist so, wie ich sie zeige. Die Leute leben so, sie sprechen so, und sie sehen so aus. Besonders die Kleidung ist schrill und laut, weil die Leute sehr viel Zeit darauf verwenden, cool auszusehen. Und Sie dürfen nicht vergessen, dass auch mein Film cool sein sollte. Ich wollte zwar keine Mode anregen, doch er sollte dennoch modern und gut aussehen. Es war natürlich schwer, dabei ein Gleichgewicht zu finden. Tatsächlich sind viele Details absolut authentisch. Doch weil die Welt, in der die Figuren leben, so unwirklich scheint, hält man sie zwangsläufig für frei erfunden.

Könnte man sagen, dass Sie diese sehr amerikanische Welt aus einem europäischen Blickwinkel porträtieren?

In gewisser Weise schon. Aber ich glaube, dass ich mit diesem Film auch manchem Amerikaner die Tür zu einer neuen Welt geöffnet habe. Andererseits ist Chrystal-Speed in den USA sehr verbreitet; fast jeder kennt jemanden, der Erfahrungen damit gemacht hat. Daher werden Amerikaner den Film vielleicht auch besser verstehen, während es Europäern offenbar leichter fällt, sich bei dem Film zu amüsieren.

Dank vieler lustiger Einfälle machen Sie es den Zuschauern auch nicht besonders schwer.

Sie werden sich wundern, aber eigentlich sollte der Film gar nicht komisch sein.

Für einen ernsten Film ist er allerdings überraschend komisch.

Das ist mir auch schon aufgefallen. Ich glaube, die Witze sind irgendwie beim Drehen passiert. Nehmen wir beispielsweise die Szene mit den beiden Polizisten, die sich in Starsky & Hutch verwandeln. Das war der Einfluss von Peter Stormare, der den Vokuhila-Bullen spielt. Peter Stormare ist so lustig, da kann man sich als Regisseur einfach nicht gegen wehren.

Sie haben das Drehbuch also aufgrund witziger Einfälle Ihrer Schauspieler verändert?

Nein, das Drehbuch ist geblieben, wie es war. Wir haben es nur hier und da etwas unernster umgesetzt. Wenn man allerdings an die Szene mit der Drogenrazzia denkt, in der John Leguizamo mit Debbie Harry Telefonsex hat und dabei in eine Socke masturbiert, muss man sich natürlich fragen, ob so eine Szene jemals ernsthaft gemeint sein konnte.

Videoclip-Regisseure, die ihren ersten Spielfilm drehen, werden in der Regel besonders kritisch beäugt. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Zunächst habe ich mich ganz bewusst dafür entschieden, mit einem kleinen Budget zu arbeiten. Das senkt das Risiko, und das senkt die Erwartungen. Zwar hat man weniger Geld, andererseits hat man dafür mehr Freiheiten. So konnte ich meine Integrität bewahren und es auf meine Weise machen. Obwohl „Spun“ letztendlich fast gar nichts gekostet hat, kann er sich durchaus sehen lassen. Kleine Filme wie diese kommen in den seltensten Fällen in die Kinos, meist werden sie nicht einmal fertig gestellt. Aber wir haben das geschafft, und darauf bin ich wirklich sehr stolz. Und ich habe hier einen tollen Film mit wunderbarer Musik und wunderbaren Darstellern.

Sie haben vor allem Mickey Rourke in der Rolle des Speed-Kochs The Cook. Hat er nach all den Jahren endlich ein Comeback verdient?

Ich denke, dass er nach all den Jahren endlich ein Comeback will. In den Jahren zuvor war es ihm egal. Doch jetzt hat er wieder Interesse. Und das ist großartig, denn Mickey Rourke ist ein fantastischer Schauspieler. Und wenn er sich zusammenreißt, werden wir noch viel von ihm sehen. Aber die Entscheidung liegt nur bei ihm. Es könnte ebenso gut passieren, dass er sagt: Ich habe keine Lust mehr, ich höre auf.

War er Ihre erste Wahl?

Ja. Und er war der Erste, der bei „Spun“ mitmachen wollte. Damals war ich mir noch nicht sicher, ob er andere Schauspieler abschrecken oder anziehen würde. Aber er zog sie an. Als John Leguizamo hörte, dass Rourke mit an Bord war, wollte er auch dabei sein, und so kam dann eines zum anderen.

„Spun“. Regie: Jonas Akerlund. Mit Jason Schwartzman, Brittany Murphy, Mickey Rourke, John Leguizamo, Alexis Arquette, Deborah Harry u. a. USA 2002, 100 Min.