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Archiv-Artikel

Teilkasko mit hohem Risiko

Die Absicherung der Pflegekosten ist nur vom Staat zu organisieren. Vernünftig diskutiert wird dies wohl erst, wenn die Beiträge dafür nicht mehr die Lohnkosten belasten

Die Politik muss klar machen, dass eine menschenwürdige Absicherung nicht billig zu haben istKinderbetreuung hilftEltern viel mehr als die Bestrafung Kinderloser in der Pflegeversicherung

Die Debatte um die Reform der Pflegeversicherung verläuft typisch für die deutsche Sozialstaatsdiskussion: Es wird über Finanzierungsdefizite spekuliert und die Begrenzung der Lohnnebenkosten steht im Mittelpunkt der Reformüberlegungen. Hinzu kommt ein unglückliches Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das fordert, in der Pflegeversicherung Kindererziehende zu begünstigen. Dabei eignet sich gerade die Pflegeabsicherung überhaupt nicht für eine derart auf die Lohnnebenkosten und juristische Gerechtigkeitsvorstellungen beschränkte Sichtweise.

Der Wunsch nach einer ordentlichen Pflege im Alter ist allen Menschen eigen – die Politik sollte sich in erster Linie Gedanken machen, wie man den Menschen helfen kann, diesen selbstverständlichen Wunsch zu erfüllen. Dabei muss Eigenverantwortung, wie sie Bundespräsident Köhler fordert, sicherlich eine zentrale Rolle spielen. Aber alle Erfahrungen – hier wie im Ausland – zeigen, dass eine menschenwürdige Pflegeabsicherung ohne den Staat nicht zu organisieren ist.

Die jetzige soziale Pflegeversicherung bietet keineswegs ein Rundum-sorglos-Paket an. Zu Recht wird vielfach gefordert, dass auch Altersverwirrung (Demenz) in den Leistungskatalog einbezogen werden sollte. Zudem ist die „Schnittstelle“ zur Krankenversicherung nicht vernünftig geregelt. So sind z. B. für die Rehabilitation von Pflegebedürftigen die Krankenkassen zuständig; die haben aber – im Wettbewerb zueinander stehend – keinen Anreiz, da die Rehabilitation ihnen Kosten verursacht, ohne dass sie Pflegekosten einsparen, da diese ja ohnehin von der Pflegeversicherung übernommen werden.

Schließlich bietet für schwere Fälle die Pflegeversicherung nur Teilkaskoschutz an, obwohl gerade die Schwere des Risikos für einen Vollkaskoschutz spricht. Viele schwer Pflegebedürftige müssen ihr Vermögen aufzehren oder sie sind gleich auf Sozialhilfe angewiesen. Wirklich gut gepflegt wird nur, wer ein so stattliches Vermögen hat, dass er sich ein flexibles Bündel von ambulanter und gegebenenfalls stationärer Pflege einkaufen kann. Da fast alle aber kein so großes Vermögen haben und gerade die mit einem kleinen Vermögen zu Recht auch etwas vererben wollen, wäre es eigentlich selbstverständlich, dass es eine umfassende Pflegeversicherung gibt.

Warum aber ist das Pflegerisiko dann so unzureichend abgesichert? Weil die Pflegeversicherung wie die traditionellen Sozialversicherungen an die Lohnkosten gekoppelt wurde. Wir werden erst eine vernünftige Diskussion bekommen, wenn die Beiträge zur Pflegeversicherung nicht mehr automatisch die Lohnnebenkosten steigen lassen.

Es ist eine Illusion, dass der Verzicht auf Staatseingriffe die Lösung wäre, wie zurzeit wieder da und dort propagiert wird. An einem freien Versicherungsmarkt kann man sich eine gute Pflegeversicherung nicht kaufen – weder hier noch in anderen Staaten –, da Pflegeleistungen nur ganz schwer kalkulierbar sind und ohne Versicherungspflicht den Versicherungsgesellschaften droht, nur die „schlechten Risiken“ abdecken zu müssen. Ohne staatliche Regulierung kommen wir also nicht aus. Dabei ist es aber am wichtigsten, dass die Politik den Bürgern endlich klar vor Augen führt, dass eine menschenwürdige Pflegeabsicherung nicht billig zu haben ist.

Die Kosten der Pflegeabsicherung werden in den nächsten Jahren ansteigen – zu verhindern wäre dies nur, wenn rasch ein wirksames Medikament gegen Demenz gefunden würde. Das ist nicht ausgeschlossen; es wäre aber sehr unklug, darauf zu hoffen. Die Belastung durch Zukunftsvorsorge kann derzeit sicherlich nicht mehr beliebig gesteigert werden. Deswegen wäre eine offene Diskussion angebracht, ob nicht höhere Altersgruppen, die ein besonders hohes Pflegerisiko tragen, mehr Beiträge zahlen als die Jungen. Dies wäre – darauf hat schon die Rürup-Kommission hingewiesen – keineswegs von vornherein ungerecht, da nicht nur die heute alten Menschen, sondern auch die jetzt „Mittelalten“ ja noch nicht sehr lange in die Pflegeversicherung einzahlen und trotzdem volle Leistungen erhalten. Eigenverantwortung von Generationen sollte zumindest einmal diskutiert werden.

Daneben wäre es hilfreich, wenn im Hinblick auf das Pflege-Risiko mehr Kapitaldeckung betrieben würde, d. h. jetzt Geld angespart würde, um damit später einen Teil der Pflegekosten zu bezahlen. Dem sind natürlich Belastungsgrenzen gesetzt. Tun sollte man es dennoch. Aber nicht – auch darauf hat die Rürup-Kommission zu Recht hingewiesen – indem in der Pflegeversicherung Kapital angehäuft wird. Denn ob man das wirklich braucht, hängt auch von der medizinischen Entwicklung ab. Und da sind auch Kostenentlastungen – siehe Pille gegen Demenz – denkbar.

Deswegen sollte das Geld außerhalb der Pflegeversicherung angespart werden. Wenn die Beiträge dann so steigen, wie das heute erwartet wird, können später die Rentner aus ihrem Kapital die Last leichter tragen. Steigen die Beiträge langsamer als erwartet, können die Rentner das angesparte Geld für andere Zwecke flexibel ausgeben. Die privaten Krankenversicherungen sollten ein warnendes Beispiel dafür sein, was passiert, wenn man das Kapital nicht getrennt anspart. Bei der privaten Krankenversicherung kann man seine „Altersrückstellung“ noch nicht einmal mitnehmen, wenn man die Versicherung wechseln will.

Zu mehr Eigenverantwortung gehört auch, dass zumindest darüber nachgedacht wird, ob man Wahlleistungen in der sozialen Pflegeversicherung zulässt. Denkbar wäre – aber auch dies müsste breit diskutiert werden – dass sich Versicherte entscheiden können, ob sie die Kosten für leichtere Fälle von Pflegebedürftigkeit ohne Versicherungsschutz direkt aus eigener Tasche tragen wollen?

Dies ist eine von vielen schwierigen Entscheidungen. Sie müssen aber diskutiert werden. Die Bundesregierung sollte sich nicht vorschnell festlegen, sondern einen gesellschaftlichen Diskurs organisieren. Dieser ist auch notwendig, um zu entscheiden, ob Demenz zu den leistungsauslösenden Diagnosen gehören sollte. Auch wären eigentlich Rehabilitation und Pflege „aus einer Hand“ sinnvoll. Wenn der Gesetzgeber die Kranken- und Pflegeversicherung nicht zusammenführen will, sollte zumindest die Schnittstelle zwischen Krankenkassen und Pflegeversicherung gründlich verbessert werden.

Auf den Nebenkriegsschauplatz, den das Bundesverfassungsgericht mit der Forderung nach einer Begünstigung von Kindererziehenden in der Pflegeversicherung eröffnet hat, sollte sich die Bundesregierung jetzt nicht begeben. Statt das Verfassungsgerichtsurteil so umzusetzen, wie von den Karlsruher Juristen erwartet wird, sollte die Bundesregierung gesellschaftlich dafür werben, dass eine bessere Kinderbetreuung Eltern viel mehr hilft als die Bestrafung Kinderloser in der Pflegeversicherung. GERT G. WAGNER