„Redefreiheit? Nonsens!“

Am Donnerstag läuft „Super Size Me“ an, ein dokumentarischer Selbstversuch mit McDonald’s-Verköstigung dreimal täglich. Regisseur Morgan Spurlock (33) über den Film und seine Folgen

INTERVIEW ARNO FRANK

taz: Mister Spurlock, was haben Sie denn heute Morgen gefrühstückt?

Morgan Spurlock: Brot und Käse, Orangensaft und Kaffee. Und Croissants, weil die hier viel besser sind als in den Staaten.

Kaffee? Keine Sorgen wegen des Koffeins?

In der Regel trinke ich morgens eine Tasse, und das war’s dann. Auf dieser Reise trinke ich allerdings viel mehr davon, weil ich so viel zu tun habe. Vor allem in Paris, wo es diesen köstlichen Espresso gab.

Ihr Film „Super Size Me“ hat in den USA zeitweilig sogar Blockbuster wie „Shrek II“ abgehängt. Haben Sie mit einem so großen Erfolg gerechnet?

Ich wusste schon, dass es groß werden würde. Aber nicht so groß, nein. Nachdem er auf dem Sundance-Filmfestival gezeigt wurde, ist er aber förmlich explodiert.

Ich bekam beim Zuschauen erstmal Appetit auf einen richtigen Cheeseburger.

Es gibt zwei verschiedene Reaktionen auf den Film. Das erste Lager sagt: Ich werde nie wieder in meinem Leben einen Hamburger anrühren. Das andere sagt: ich will ihn sofort. Ich selbst mag immer noch Cheeseburger, aber gute Cheeseburger kommen eben nicht aus dem Schnellrestaurant.

Dick oder nicht dick? Ist das eine Frage der Intelligenz?

Es ist eine Frage der Bildung. Schauen Sie sich nur mal an, was wir in den USA unseren Kindern beibringen! Besonders entsetzlich waren unsere Recherchen in Schulkantinen. Unglaublich, was dort an die Kinder verfüttert wird. Und es klärt sie auch niemand darüber auf, was sie da Tag für Tag in sich hineinstopfen.

Sind dafür nicht die Eltern verantwortlich?

Vergessen Sie die Eltern! Die meisten Eltern essen drei-, viermal in der Woche auswärts und treiben keinen Sport. Das sind schreckliche Gewohnheiten, die nicht hinterfragt, sondern an die Kinder weitergegeben werden. Die Menschen wissen einfach nicht, wie viel Zucker, Fett oder Salz für einen Tag reicht. Das war lange ein US-amerikanisches Problem, aber mit dem American Way of Life breitet es sich gerade über die ganze Welt aus.

Weil er so einfach ist?

Das ist genau der Kern dieses Lebensstils, nichts darf mehr Arbeit machen, alles kann sofort konsumiert werden. In den USA verwenden wir die meiste Lebenszeit darauf, Geld zu verdienen. Unser Wohlbefinden spielt dabei eine kleinere Rolle, das lassen wir uns gerne frei Haus liefern. Dabei ist die Nahrungsmittelindustrie so dominant, dass wir vergessen haben, woher unser Essen kommt – geschweige denn, dass wir uns darüber Gedanken machen würden, was es in unserem Körper anrichtet. In den letzten 15 Jahren haben zahlreiche Süßigkeiten- und Limonadenhersteller Verträge mit Schulkantinen geschlossen. Also kaufen sich die Kids für ihre paar Dollar eben Schokoriegel. Wie soll ein zehnjähriges Kind wissen, dass das nicht gut ist?

Warum verklagt niemand die Schulen? Nirgendwo gibt es so viele Schadenersatzklagen mit Aussicht auf Erfolg wie in den USA. Ist das nicht absurd?

Klar, aber noch absurder ist, dass der Kongress kürzlich ein Gesetz verabschiedet hat, dass Klagen gegen Nahrungsmittelhersteller grundsätzlich verbietet! Das Gesetz hat zwar den Senat noch nicht passiert, bedenklich ist es trotzdem. Und weil ich Amerikaner bin, weil ich an den Wert gewisser Freiheiten glaube, verteidige ich auch das Recht, diese Firmen verklagen zu können – auch wenn ich nicht glaube, dass sich alle Probleme vor Gericht lösen lassen.

Sie legen sich mit Corporate America an, dem Amerika der großen Konzerne. Haben Sie deren Macht zu spüren bekommen?

Und wie! Die meisten großen Radiostationen haben Interviews mit mir gebucht – und dann in letzter Sekunde abgesagt, weil es hieß: Moment mal, McDonald’s sponsert uns, das können wir nicht machen! Ich meine, wir leben doch in einer Welt der Redefreiheit!

In Deutschland schon.

Deutschland? Zwei deutsche Kamerateams haben sich bei mir angekündigt, um Beiträge über meinen Film zu drehen. Und dann sagten sie plötzlich ab. Beide. Weil sie zum selben Konzern gehören und ein Verantwortlicher plötzlich gemerkt hat: Wir können doch McDonald’s nicht ans Bein pinkeln, wo die doch bei uns so viel Geld für Werbung ausgeben! Wir dürfen mit diesem Typen nicht sprechen! Und dabei, hey, reden wir hier nicht mehr von Corporate America – wir sind mitten in Ihrem Land, wir reden von der Corporate World! Meinungs- und Redefreiheit? Nonsens! Klar, du kannst sagen was du willst – solange es nicht die Leute brüskiert, die uns bezahlen. So läuft das.