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Archiv-Artikel

„Es gibt einen geistigen Schaden“

Mit einem Solifest trotzt die Kölner Keupstraße den Folgen des Bombenanschlags vom Juni. Ermittlungen stocken

KÖLN taz ■ Laute Musik beschallt die Keupstraße, buntes Leben füllt sie. Normal ist das nicht. Den Kontrast markiert die schwarze Kleidung der Verantwortlichen an diesem Sonntag. Es sind T-Shirts, die eigens für das Solidaritätsfest auf der türkisch und kurdisch geprägten Einkaufsmeile im Kölner Stadtteil Mülheim kreiert wurden. Vor vier Wochen explodierte hier eine Nagelbombe, 22 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Täter und Motiv sind immer noch unbekannt. Auf den Shirts steht in großen Lettern „Gegen Hass und Gewalt“. Selbstbewusst wollen die Anwohner und Geschäftsleute damit ein Zeichen setzen für eine positive Zukunft ihrer Straße.

„Neben dem materiellen gab es auch einen geistigen Schaden“, berichtet Seyrani Erdugdu. Er betreibt ein Fachgeschäft für Haushaltsgeräte. Seit dem Anschlag kommen kaum noch Kunden. „Vor allem die Deutschen trauen sich nicht mehr in die Keupstraße“, erzählt Erdugdu. „Aber wir lassen uns nicht unterkriegen.“ Durch die Erfahrung des Anschlags und das gemeinsame Straßenfest seien zum ersten Mal die verschiedenen Gruppen des multikulturellen Viertels enger zusammengerückt, fügt Kemal Bozay hinzu. Türken, Kurden und Deutsche säßen ebenso wie Sunniten, Aleviten und Laizisten erstmals gemeinsam an einem Tisch.

Den ganzen Sonntag lang schieben sich die Menschenmassen durch die Straße, die nach Angaben von Banu Bambal vom Verein „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ sonst „nach wie vor leer“ ist. Nach dem Anschlag sei vor allem in den Medien ein negatives Image verbreitet worden. Das könne durch das Straßenfest wieder ein Stück weit gut gemacht werden.

In der Tat mischen sich an diesem Tag Menschen unterschiedlichster Herkunft in Restaurants und Cafés. Überdimensionale Dönerspieße werden gegrillt, Gemischtwaren verkauft und Süßigkeiten feilgeboten. Dazwischen immer wieder Polizeistreifen. Viel mehr als sonst üblich auf solchen Festen.

Politiker diskutieren mit den Menschen, wollen ihnen Mut machen. Der SPD-Landtagsabgeordnete Marc-Jan Eumann verkauft mit seinen Genossen Kuchen zugunsten der Keupstraße. Der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) und der türkische Generalkonsul Sertac Sönmezay lassen weiße Tauben fliegen. Ein Projekt zur Gewaltprävention und ein „Haus der Kulturen“ seien vorstellbar, meint Eva Glattfeld von der Interessengemeinschaft Keupstraße.

„Langsam kommt die Solidarität wieder“, berichtet Aygün Yildirim, vor deren Friseursalon die Bombe vor einem Monat explodiert war. Erst am kommenden Samstag kann sie das damals verwüstete Ladenlokal wieder eröffnen. „Die Kunden rufen aber wieder an und fragen, wann sie kommen können. Das baut mich auf“, erzählt sie. Beim Straßenfest schneidet sie zumindest auf dem Gehweg Passanten die Haare.

Zu den Ermittlungen will kaum einer mehr etwas sagen. Zu viele Journalisten hätten schon nachgefragt, und man habe zu oft das Gleiche sagen müssen. „Der Schmerz sitzt immer noch tief“, meint eine Verkäuferin: „Aber jetzt wollen wir ihn langsam vergessen – und hoffen, dass der oder die Täter schnell gefasst werden.“ Gerade erst musste ein Verdächtiger nach über 30 Stunden im Polizeigewahrsam am frühen Samstagabend wieder freigelassen werden. Wie Polizei und Staatsanwaltschaft erklärten, habe der dringende Tatverdacht gegen ihn nicht erhärtet werden können. Dies wäre die Voraussetzung gewesen, um einen Haftbefehl zu beantragen.

Der aus Köln stammende Schausteller und Gelegenheitsarbeiter, der Polizei bislang durch „kleinkriminelle Delikte“ bekannt, war am Freitag in seinem hessischen Wohnort Fischbach festgenommen und zur Vernehmung in die Domstadt gebracht worden. Zwar habe der 23-jährige Deutsche widersprüchliche Angaben über sein Alibi gemacht. „Bei den umfangreichen Überprüfungen seiner Angaben konnte jedoch nicht nachgewiesen werden, dass er sich zur Tatzeit am Tatort aufgehalten hatte“, erklärte ein Polizeisprecher. Jetzt werde weiter in alle Richtungen ermittelt.

P. BEUCKER, F. ÜBERALL