: Nur der Loreley ist‘s einerlei
AUS ST. GOARSHAUSEN HEIDE PLATEN
Heino Rönneper ist eigentlich ein ausgeglichener Mann, ernst und nachdenklich. Aber Rheinromantik ist ihm ein Gräuel, da kann er ärgerlich werden. „Fehlgeleitet“ nennt er sie, „eine Kopfgeburt“ des 19. Jahrhunderts. Es gibt nun mal unterschiedliche Antworten auf die eine Frage: Warum ist es am Rhein so schön? Und Rönneper findet eben, dass es am Rhein nie so schön war, wie die Stadtväter von St. Goarshausen unterhalb des Loreleyfelsens es gerne hätten: malerische Kulisse für den Fremdenverkehr, Postkartenidylle pur mit unverstelltem Panoramablick auf Fluss und Stadt, dahinter Weinberg, darüber Burg.
Rönneper deutet vom Kai der Uferstadt hinauf zu Burg Katz und über den Fluss zur Burg Rheinfels. Die grauen Barthaare sträuben sich. Nichts gegen Altertümer, sagt er, aber „hier wird vor lauter Schlössern und Burgen manchmal alles andere übersehen“. Was nicht ganz stimmt, denn gerade weil so manche in der Stadt eben weit mehr sehen, als ihnen lieb ist, gibt es ja diesen Streit in St. Goarshausen.
Rönneper ist daran nicht ganz unschuldig. Der studierte Volkswirt hat Herz und Verstand an einen Kran gehängt – ein sperriges Ungetüm auf vier Stelzen, das ohne ihn, seinen Mitstreiter Jochen Dohm und eine Hand voll Gleichgesinnter längst auf dem Schrottplatz gelandet wäre.
Da hätten seine Gegner ihn gerne gesehen. Aber Rönneper ist Geschäftsführer des Forums Mittelrhein, und als solcher legt er Wert auf Authentizität in der Region Oberes Mittelrheintal, die 2002 ins Welterbe der Unesco aufgenommen wurde. Und zwar nicht, betont er immer wieder, als romantisch verbrämte, konservierte Landschaft, sondern weil der Rhein seit Jahrtausenden ein Wirtschaftsfaktor ist – Verteidigungslinie und Verkehrsstraße mit Zollhäuschen, Hafen und Kran.
Wie ein großer, grauer Dinosaurier steht das Gerät mit vorgerecktem Hals und massigem Körper an der Uferpromenade von St. Goarshausen unterhalb des Loreleyfelsens und stört nach Meinung des Stadtrats das Panorama. Der Kran, hält Rönneper dagegen, gehöre zur Geschichte des Flusses und sei „tausendmal authentischer“ als so manche renovierte Ruine.
Der Förderverein „Häusener Kran“ kümmert sich seit 1999 um das schwere Gerät. Jochen Dohm ist einer der ersten Initiatoren des Fördervereins. Er und Rönneper führen ihr Riesenspielzeug gerne vor, entfernen Vorhängeschloss und die rostige Kette an der Einstiegsöffnung. Eine Eisenleiter führt senkrecht nach oben auf die Plattform und von da in den hölzernen Maschinenraum und das Führerhäuschen mit schwenkbarem Rundumblick. Es sieht aus, als würde der Kranführer jeden Moment von der Mittagspause zurückkommen. An der Wand sein Schutzhelm, das Ölkännchen steht bereit, die riesigen Zahnräder sind gut geschmiert, die Technik ist funktionstüchtig, die 150 Meter Schienen sind befahrbar.
Der Drehportalkran war zu seiner Zeit ein technisches Wunderwerk. 1917, zu Beginn der Elektrifizierung des Industriezeitalters, galt er als hochmodern. Er ist mit drei Elektromotoren ausgestattet, der 25 Meter lange Auslegerarm ist um 360 Grad schwenkbar, kann 8.000 Tonnen Gewicht heben – und er ist ein Unikat. Insgesamt seien in Deutschland bis 1931 zwar 120 Kräne dieser Art entstanden, aber nur sieben in dieser Größe.
Der Kran habe, so Rönneper, lange vor dem Massentourismus „Handel und Wandel befördert und Wohlstand in die Region gebracht“. Er lud Waren von Lastkähnen und Handelsschiffen auf Pferdefuhrwerke, später auf die Nassauische Kleinbahn und dann auf Lastkraftwagen um. 1999 versetzte ihn die letzte Betreiberfirma aus wirtschaftlichen Gründen in den Ruhestand.
Seine Greifer liegen noch immer bereit, eiserne Klammern und Schaufeln, die Kohle, Kies, Sand, Getreide und Stückgut auf den Weg in das rechtsrheinische Hinterland bis in den Taunus brachten. Seine Dienste dankt ihm heute keiner. Die zuständigen Behörden von Land, Bund, Kreis und Gemeinden sind ihm zwar nicht alle abhold – das Landesamt für Denkmalpflege stellte ihn 1999 immerhin unter Denkmalschutz. Aber für den Erhalt ist schwer Geld aufzutreiben.
Und in seinem Heimatort hat er sich in kurzer Zeit reichlich Feinde gemacht. Der Stadtrat von St. Goarshausen versagte dem kleinen Förderverein jede Unterstützung. Im Sommer 2003 teilte er ihm schriftlich mit, dass er keinen Cent, auch sonst rein gar nichts für den Hafenkran übrig habe und „keine Verpflichtung, welcher Art auch immer“, eingehen werde. Die Unterschutzstellung sei „entgegen der Auffassung und dem ausdrücklichen Willen“ der Stadt erfolgt. Das Gerät sei nämlich gar nicht schutzwürdig, sondern „im Kontext der Natur- und Kulturlandschaft Oberes Mittelrheintal eine Marginalie“ und überhaupt unpassend: „… im kleinräumigen Spannungsfeld zwischen Loreley, Rhein und Altstadt mit Burg Katz stellt er als Irritation einen Störfaktor ersten Ranges dar.“
Die Stadtväter haben andere Vorstellungen von ihrem laut Eigenwerbung „romantischen Weinstädtchen“ mit einstiger Ritterherrlichkeit, majestätisch vorbeiziehenden Schiffen und den drei Burgen: „Stolz blicken sie hinunter auf den Rhein.“ Nicht nur auf den Kran, sondern auch, kaum hundert Meter weiter, auf den neuen, roten, zwischen Promenade und Fluss gequetschten Sportplatz.
Schön ist auch der nicht, schon gar nicht romantisch – aber Baugrund ist eben knapp am Rhein. Die Orte strecken sich zwischen Fels und Fluss schmal durch das enge Tal. Außerdem ist Ästhetik Ansichtssache. Die Denkmalpfleger begründeten ihr Votum für den Kran nicht nur mit seiner industriehistorischen Bedeutung, sie lobten auch seine „silhouettenhafte Wirkung im Ortspanorama“. Zudem repräsentiere er am alten Hafenbecken „die mit dem Rheinhandel verbundene Bedeutung des Ortes“.
Und genau da hakt Heimatforscher Rönneper immer wieder ein: Der Rhein sei nun mal zuallererst ein Wirtschaftsfaktor, heute wie damals eine Verkehrsader, Verbindung zwischen Mittelmeer und Nordeuropa. Die Römer nutzten ihn, Holzfäller treidelten ihre Baumtämme vom Schwarzwald bis in die Niederlande. Im 19. Jahrhundert kamen die Dampfschiffe, die ersten meist englischen Rheinromantiker, dann Ausflugsschiffe und damit Touristen aus aller Welt.
Der Wandel ist stetig. Und Rönneper meint, dass die Unesco die Natur- und Kulturregion genauso auch betrachtet wissen wollte: 65 Kilometer Fluss zwischen Bingen und Koblenz als lebendige Landschaft, die auch heute Veränderungen unterworfen ist, in der zwar bewahrt, aber auch feinfühlig verändert werden dürfe. Authentisch eben und nicht museal.
Und, bitte sehr, meint Rönneper, viele der rheinspezifischen Gebäude, die heute als malerisch empfunden würden, hätten in Wirklichkeit sehr prosaischen Zwecken gedient: „Die sind nicht zur idyllischen Ebauung der Nachfahren entstanden.“ Man nehme nur den schmucken Pfalzgrafenstein auf der Rheininsel bei Kaub, der „nach jedem Hochwasser Unmengen von Geld verschlingt“. Er war einstmals eine schnöde Zollstation. Die romantischen Türmchen und Dachgauben über den Schießscharten waren die Abzugshauben für den Kanonenrauch. Raubritter, Fürsten, Bischöfe, Landesherren kassierten hier einst ab – und dank der 15 Zollstationen verteuerten sie die transportierten Waren allein auf der heutigen Welterbe-Strecke seinerzeit um das Zehnfache.
Der Kran sei „hundertmal authentischer“ als manche gepäppelte Burgruine, findet auch Jochen Dohm vom Förderverein. Er kann sich den Kran als „bewegliches Industriedenkmal“ vorstellen, als Ausflugsziel für Technikbegeisterte. Er würde ihn auch wieder in Gang setzen, kein Problem, die einstige Betreiberfirma hat ihn dem Verein geschenkt.
Doch so einfach darf der Kran nicht wieder in Betrieb genommen werden, denn das für die Sicherheit am Kai zuständige Wasser- und Schifffahrtsamt fordert eine Bürgschaft von 15.000 Euro für die unsichere Zukunft, für Zeiten, in denen der Verein womöglich die Lust verliert, der Kran doch marode werden könnte und dann beseitigt werden müsste. Niemand will die Bürgschaft übernehmen, aber ohne Bürgschaft kein Trägerschaftsvertrag. Bereits bewilligte 100.000 Euro Fördergeld aus dem Welterbe-Fonds des Landes Rheinland-Pfalz sind somit leider verfallen.
Dohm ist langsam richtig sauer. Und Heino Rönneper wird das Gefühl nicht los, dass es eigentlich schon längst nicht mehr um den Kran geht, sondern darum, dass nun auch der Förderverein „Häusener Kran“ die beschauliche Befindlichkeit am Mittelrhein empfindlich stört. Doch was ist schon Beschaulichkeit? „Es ist doch durchaus möglich“, sagt Rönneper, „dass unsere Enkel, die mit Elektronik aufgewachsen sind, einen elektrischen Drehportalkran in 30 Jahren auch ganz romantisch finden.“