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Archiv-Artikel

Sie trafen sich im Arabischkurs

Die Konstruiertheit der Geschichte stört nicht weiter und die Dämmerung ist schön: „London River“ (Wettbewerb) über die Folgen der Londoner Anschläge von 2005

Es ist schön, morgens um neun im Kino zu sitzen! Keine Ahnung, ob das anderen Berlinale-Besuchern auch so geht, oder ob es mir auch noch so gehen würde, wenn ich das häufiger tun müsste. Wahrscheinlich ist es so, dass die Neun-Uhr-morgens-Filme immer gute Kritiken und Preise bekommen und sich deshalb um den frühen Aufführungstermin balgen. Denke ich jedenfalls, bin mir aber nicht sicher.

Diesmal hieß der Neun-Uhr-Film „London River“. Die Geschichte, die der französische Regisseur Rachid Bouchareb erzählt, spielt im Umfeld des 7. Juli 2005, des Tags also, an dem islamistische Selbstmordattentäter in der britischen Metropole vier Bomben in drei U-Bahnen und einem Doppeldeckerbus zur Explosion brachten. Es starben 56 Menschen, mehr als 700 wurden verletzt; irre, wie lang das schon her zu sein scheint!

Es geht um Mrs. Sommers, eine kräftige Christin, um die 50 vielleicht, und Monsieur Ousmane, einen großen, schlaksigen Muslim mit afrikanischen Wurzeln. Sie ist Witwe und lebt auf einer der englischen Kanalinseln; er lebt in Paris, seine Familie in Afrika. Auf der Suche nach ihren Kindern, die in London leben und seit dem Terroranschlag verschwunden sind, laufen die beiden einander über den Weg.

Der Film ist sympathisch und die beiden Hauptdarsteller – Brenda Blethyn und Saigui Kouyate – sind super; das Bild, das Rachid Bouchareb vom multikulturellen London zeichnet, ist stimmig und schön in der Dämmerung. Nur die Geschichte wirkt zuweilen etwas konstruiert: Herr Ousmane hatte also seine Familie Richtung Paris verlassen, als der Sohn gerade sechs Jahre alt war. Ohne zu wissen, wie sein Sohn jetzt aussieht oder wo genau er wohnt, kommt er nach London und erkundigt sich bei muslemischen Glaubensbrüdern. Die finden innerhalb von zwei Tagen ein Foto, mit dem Ousmane dann durch die Gegend rennt. Auf dem Foto ist sein Sohn mit Freunden vom Arabischkurs zu sehen. Das Mädchen neben ihm ist nun die Tochter von Mrs Sommers, wie er entdeckt, als er die Vermisstenfotos, die Mrs Sommers überall aufgehängt hat, betrachtet. Er setzt sich mit ihr in Verbindung. Anfangs misstrauen die beiden einander und finden es auch komisch, dass ihre Kinder ein Paar sind; das Landei Mrs Sommers hat ein bisschen Angst vor Muslimen und vor Herrn Ousmanes Hautfarbe und verdächtigt seinen Sohn, ihre Tochter islamisiert zu haben; er befürchtet, dass sein Sohn etwas mit den Anschlägen zu tun haben könnte. Später entdecken beide auch Gemeinsamkeiten: Beide arbeiten nämlich in der Natur – er als Förster, sie auf einem Bauernhof.

Die Konstruiertheit der Geschichte stört aber nicht weiter. Das Setting ermöglicht dem Regisseur, zurückhaltend und genau von den Prozeduren zu erzählen, die Menschen durchlaufen mussten auf der Suche nach ihren vermissten Angehörigen. Wie sie in Wartezimmern sitzen und dann in kleinen Gruppen in die Leichenhalle gelassen werden, um nicht identifizierte Tote anzugucken zum Beispiel.

Das Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller ist berührend und überzeugend; das Bild, dass der Regisseur von Christentum und Islam zeichnet, ist respektvoll und unaufgesetzt. Die Nachrichtenagenturen meldeten gestern schon, dass Brenda Blethyn eine Favoritin für den Silbernen Bären für die beste Schauspielerleistung des Wettbewerbs dieser Berlinale sei.

DETLEF KUHLBRODT

„London River“. Regie: Rachid Bouchareb. Mit Brenda Blethyn, Sotigui Kouyate, Roschdy Zem. Algerien, Frankreich, Großbritannien 2009, 87 Min.; 11. 2., 18 Uhr, Friedrichstadtpalast; 11. 2., 20 Uhr, Urania