: Seeadler, Raddampfer und RhabarberkuchenIrrwege im Norden
Von stillen Wassern, fehlenden Moorleichen und einem Hauch von Mississippi: Ideen für einen Sommertag – oder auch für ein langes Wochenende
Wer sich vor zigtausend Jahren in ein Labyrinth traute, der war ein echter Kerl. Man konnte sich dort nicht nur verirren, sondern auch unangenehme Bekanntschaft machen: In ihm hauste der Minotauros, das gefürchtete Wesen, halb Mensch, halb Stier. Und hätte Königstochter Ariadne den jungen Theseus nicht mit Schwert und Bindfaden ausgerüstet, dann moderten seine bleichen Knochen vielleicht heute noch irgendwo im kretischen Untergrund.
Heutige Labyrinthe sind harmloser, und machmal sogar essbar. Seit 1998 werden sie in Deutschland aus Mais erbaut: Heranwachsende Maisfelder werden so gemäht, dass nicht nur unübersichtliche Wege, sondern, aus der Vogelperspektive betrachtet, auch interessante Muster entstehen. Viele Labyrinth-Besitzer bieten ihren Besuchern nicht nur Erfrischungsgetränke und einen kleinen Imbiss an, sondern organisieren Nachtwanderungen und andere Aktivitäten. Mitte September werden die Pflanzen abgemäht, und aus dem Irrgarten wird Tierfutter.
50.000 Hektar misst das Labyrinth der Maister beim Wildpark Eekholt. Der kürzeste Weg ist 1650 Meter lang und in 35 Minuten zu bewältigen. Wer sich verirrt, legt eine doppelt so lange Strecke zurück. Der Bio-Irrgarten ist über die A7, Abfahrt BadBrahmstedt/Bad Segeberg zu erreichen. Besucher sind montags bis freitags von 12 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 21 Uhr und am Sonntag von 10 bis 18 Uhr willkommen. Eintritt für Erwachsene: 2 Euro. Kinder zahlen die Hälfte. ☎ 0172/703 00 05. Das Mais-Labyrinth in Jersbek, nördlich von Hamburg bei Bargteheide, befindet sich in der Alleestraße 33 und ist täglich, außer montags, von 10 bis 22 Uhr geöffnet. Eintritt: Erwachsene 5 Euro, Kinder 3 Euro. ☎ 04102/89 81 12.
In Hambwerder, südöstlich von Hamburg, liegt direkt an der L205 hinter Geesthacht ein weiterer Irrgarten aus Mais. Das Labyrinth ist samstags und sonntags von 11 bis 19 Uhr geöffnet. Eintritt: 3 Euro für Erwachsene, Kinder zahlen 2 Euro. ☎ 0179/249 11 68. Und im Pegasus Park in Ahrensburg kann man sich von Dienstag bis Donnerstag, jeweils von 10 bis 18 Uhr nach Herzenslust verlaufen. Familien zahlen 10 Euro Eintritt. ☎ 040/40 18 66 50. MAREIKE ADEN
Kult am Jadebusen
Küste, Kunst und Kuchen: Dangast, das älteste Nordseebad Deutschlands, ist Kult. Das Städtchen am Jadebusen der friesischen Küste Niedersachsens ist ein Ausflugsmekka für jedermann. Heerscharen von Bikern, Künstlern, Familien, Punks, Hippies und Yuppies versammeln sich am Wochenende im „Alten Kurhaus“ und rücken eng zusammen. Denn alle wollen nur das eine: Rhabarberkuchen. Mit viel Schlagsahne. Für 1,50 Euro. Fünf Tonnen der süß-sauren Köstlichkeit verbackt die Familie von Ex-Kapitän Karl-August Tapken, die das Kurhaus seit Jahrzehnten führt, jährlich.
Das gut 200 Jahre alte Gebäude, ursprünglich Sommerresidenz der Familie Bentinck, ist eine Attraktion für sich: Bei Sonne lockt die Terrasse mit Blick auf die „Venus von Dangast“ und den „Butjatha Thron“, zwei Kunst-Installationen im Meer. Bei Regen schlemmt man in der großen Halle: Hohe Decken, knarrender Holzfußboden und lange Tische mit roten Deckchen.
Schon immer lag Dangast Menschen mit Sinn für Erholung und Kreativität am Herzen. Graf Friedrich Wilhelm Bentinck ließ das 750-Seelen-Nest 1804 zum Kurbad ausbauen. Und die Brücke-Maler Erich Heckel und Karl Schmitt-Rothluff fanden ebenso wie Franz Radziwill auf den Wiesen der Geest und im Meeresrauschen Inspiration für ihre expressionistischen Werke. Radziwills weißes Häuschen mit blauen Sprossenfenstern in der Sielstraße ist seit seinem Tod ein Museum.
Wer mit der Bahn anreist, steigt in Varel aus und nimmt den Bus Nummer 253. Autofahrer verlassen die A-29 hinter Oldenburg an der Abfahrt Varel-Bockhorn. Mareike Aden
Seenswürdigkeiten
Umwaldete Seenlandschaften, malerische Buchten, schilfbewachsene Ufer, eingetaucht in eine Stille, die jeden Moment durchflutet – die Seenplatte im Süden Mecklenburg-Vorpommerns gilt als das größte zusammenhängende Fluss- und Seengebiet Deutschlands. Ob Tagestour, Wochenendausflug oder Sommerurlaub: ein weit verzweigtes Wasserstraßennetz ermöglicht die Planung individueller Paddelrouten. Keine angestrebte Tour verpflichtet und jede ist jederzeit veränderbar. Boote können auf fast allen Campingplätzen gemietet werden, mit denen die Seenplatte reichlich bestückt ist.
Eine der Rundtouren beginnt in Wustrow bei Wesenberg und endet dort nach 35 Kilometern. Getragen vom Wasser im Gleichmaß der Paddelschläge und umgeben von einer vielfältigen Pflanzenwelt geht es los über den Plätinsee in die sehr schmale Schwaanhavel mit nur eingeschränkter Paddelfreiheit, die bereits auf dem Drewensee wieder voll erlangt wird. Wenn das Licht Sonnenstücke durch Wolkenwände reißt und das Wasser beflirrt, dann ist Glück, ebenso wie beim Erblicken seltener Tiere wie Seeadler, Eisvögel oder Kraniche auf dieser Reise. Das Vorankommen auf dem Großen Priepertsee ist bei starkem Seewind durchaus eine sehr sportliche Angelegenheit, wie auch die Überquerung des Kleinen Pälitzsee und später des Labussee. So wird das Schleusen zwischen diesen Seen zuweilen zur wohlverdienten Erholungspause. Schließlich biegt der Labussee die Tour über den Gobenowsee zurück nach Wustrow.
Eine Paddeltour auf der Mecklenburger Seenplatte ist ein tief erfüllendes (Natur-)Erleben. Die Sinne ernährend entführt es in eine andere Wirklichkeit. Das Alltags-Gedankenmenü wird des Wassers verwiesen und streckt die Wahrnehmung von Zeit. Wer allerdings die im Wasserglanz untergehende Sonne zu kommentieren neigt mit „Kenn ich schon, hab ich mir gemerkt“, sollte möglicherweise andere Urlaubsziele frequentieren.
Anfahrt: mit dem Auto über die A 24 auf die A 19 Richtung Rostock, Abfahrt Röbel Richtung Neustrelitz; mit der Bahn nach Neustrelitz, von da mit der Ostdeutschen Eisenbahngesellschaft nach Mirow. Wasserstraßenkarten im Fachbuchhandel oder über www.bade-hornig.de. EVELYN LUKA
Naturerlebnis Innenstadt
Es gibt Ausflüge, an die denkt der Großstadtbewohner nur, wenn er mal Besuch von auswärts kriegt. Denn Ausflug bedeutet: Raus aus der Stadt! Ein Spaziergang in Planten un Blomen, Hamburgs Renommier-Park, kann ebenso entspannend und dabei höchst abwechslungsreich sein.
Fahren Sie mit der S-Bahn zum Dammtor und schauen sie sich den schön restaurierten Bahnhof an. Betreten Sie über die Terasse des Congress-Centrums (CCH) den Park. Gehen Sie nach rechts zum Rosengarten, der bald einer Erweiterung des CCH zum Opfer fallen wird. Spielen Sie am See mit den Wasserkanonen und spazieren Sie auf dem Rückweg durch den Japanischen Garten mit Felslandschaft und Teehaus. Jenseits des überdachten Weges vom CCH zum Messe-Hochhaus gelangen Sie in den Englischen Garten. Nebenan liegen die Schaugewächshäuser des Botanischen Instituts und vor ihnen Richtung Stephansplatz die schwarzsteinernen Mittelmeer-Terassen, auf denen Liegestühle stehen. Hier ist es warm, sobald ein wenig die Sonne scheint. Sie folgen den Wallanlagen am Wasser entlang zum Sievekingsplatz und gruseln sich vor dem Untersuchungsgefängnis. Gehen Sie weiter, bis Ihnen der Ziegelbau des Museums für Hamburgische Geschichte den Weg verstellt.
Hier ist der Ort für eine Rast, sei es im glasüberdachten Hof des Museums oder im Gärtchen davor. Über das Bismarckdenkmal und den Stintfang ist es von hier aus nur noch ein Katzensprung zum U- und S-Bahnhof Landungsbrücken. Wer noch nicht müde ist, kann ein wenig den Kai entlang promenieren bis zur Speicherstadt und am Baumwall vor Gruner&Jahr in die U-Bahn steigen. GERNOT KNÖDLER
Moor gesucht
Es war die erste Reise nach dem Abitur. Norddeutschland war ein einziger großer weißer Fleck, aber Teufelsmoor klang gut. Moor – so etwas hatten wir im westfälischen Paderborn nicht und nie gehabt, aber wir hatten Droste-Hülshoff zu lernen gemusst, und dann noch in Kombination mit dem Worte Teufel – es hörte sich an nach Grusel und Nebelwabern. 18-Jährigen steht zuweilen der Sinn nach so etwas.
Also auf, einer von uns hatte schon einen Führerschein, Premierenausflug mit dem Auto. Irgendwo nördlich von Bremen sollte dieses Moor nach unserem Diercke-Schulatlas sein, also wurde zunächst Bremen angesteuert: Hui, große Stadt, Überseemuseum, Werder-Stadion, jetzt aber hinaus ins Wilde, ins ungebändigte Moor. Wir fuhren und fuhren, Lilienthal, Grasberg, Worpswede – Modersohn, wohin das Auge blickt, aber sonst moderte nichts. Irgendwann hießen die Ortschaften Heißenbüttel und Hambergen, ein Schild grüßte: „Auf Wiedersehen beim nächsten Mal im Teufelsmoor“, und das war‘s. Kein Glucksen, keine Leiche, die ihre fahlen Skelettfinger in die Höhe reckt, nicht einmal fauliger Geruch, nur schöne norddeutsche Wiesen und Hecken. Aber wer wollte Schönheit? Dass das Teufelsmoor seit mehr als 100 Jahren trockengelegt ist, hätte man uns auch früher sagen können.
Auf dem Rückweg sind wir dann rein zufällig ins Große Moor geraten, westlich von Twistringen im Bremer Süden, zwischen Drebber und Barnstorf. Es roch faulig, es gluckerte, und das Auto ist zur Hälfte im moorigen Untergrund versunken. Mit vereinten Kräften haben wir es wieder rausgezogen. Alles war gut. PETER AHRENS
Drei-Länder-Eck
Unten am Fluss. Ein Hauch von Mississippi liegt über Lauenburgs Elbuferpromenade, wenn vom schief liegenden Ponton 51/9 zwei Jungs wie weiland Huck Finn und Tom Sawyer die Angel ins Wasser halten und wenige Meter weiter ein veritabler Raddampfer Baujahr 1900 – „mit kohlebefeuerter Dampfmaschine 168 PS“ – im Strom liegt. Hinter ihm, neben den Docks der Hitzler Werft, ragt die Spitze des Drei-Länder-Ecks in die Elbe und scheidet Schleswig-Holstein von Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern.
Die Lage am Schnittpunkt der alten Handelswege zwischen Lüneburg, Lübeck, Hamburg und den Elbanrainern bis nach Dresden hat Lauenburg vom 12. bis ins 19. Jahrhundert reich gemacht und ein architektonisch-atmosphärisches Kleinod hinterlassen. Gebaut 1592, 1600, 1649 ... für Fachwerk-Liebhaber sind die Gassen der Lauenburger Unterstadt ein Muss. Hier gibt es Kopfsteinpflaster aller Formen, Farben und Größen, mithin sei Flaneuren ausgewogenes Schuhwerk empfohlen und Radfahrern das Schieben. Neuzeitlicher, aber nun auch schon lange museal ist das Häuschen von Karl Bobzien, „beeidigter Ortswäger“ an der alten Rampe zur Elbbrücke. Gegenüber, an der Gaststätte „Zum Anker“, erinnert die Aufschrift „Fernsprecher No. 12“ an den Einzug der Moderne. Ganz und gar deftig-unmodern die Küche dortselbst: hausgemachtes Sauerfleisch und Pferdesteak. Flusslich-fischig dagegen duften aus der „Schifferbörse“ die Zutaten der „Lauenburger Bouillabaisse“. Zur Verdauung bietet sich der Aufstieg in die Oberstadt an, wo Burgberg und Wehrturm der Herzöge von Lauenburg veranschaulichen, was eine beherrschende Lage ist.
Anfahrt über A24/B5, Elberadweg, Busverbindung mit Hamburg alle 30 Minuten, auf der Elbe per Paddel oder ähnlichem, ein Bahnhof ist auch da, aber weniger frequentiert. Infos: www. Lauenburg.de. Heinz-Günter HolleinPETER AHRENS