theatertreffen etc.
: Aufbruch mit alten Bekannten

Das geht zu Herzen. Einem kleinen Triumph über die Angst gleicht die diesjährige Auswahl für das Theatertreffen in Berlin (1.–17. Mai). Nicht nur, weil zwei Inszenierungen von Jürgen Gosch dabei sind, der umso berührender in seiner Inszenierungen wird, je älter er wird und je länger er seiner Krankheit standhält („Die Möwe“, Deutsches Theater in Berlin, „Hier und Jetzt“, Schauspielhaus Zürich). Sondern weil auch Christoph Schlingensiefs „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ eingeladen ist, „eine furios theatralisierte Krankenakte und ein vom Betrauernden selbst angerichtetes Requiem zu Lebzeiten“, wie die Jury über das Stück schrieb. Denn lange nicht mehr waren sich die Stimmen der Kritiker und das Publikum so einig wie in der Begeisterung über diese beiden Regisseure. Was nicht zuletzt daran zu liegen scheint, dass Theater hier zu einer Art Bekenntnis und Liebeserklärung der Schauspieler an Gosch, an Schlingensief und an das geworden ist, was sie vom Theater wollen. Mag es auch noch so verschieden scheinen.

„Es ist ja auch das Theater selbst, das in dieser Komödie der Verzweiflung zum Thema wird“, heißt es in der Pressemitteilung des Theatertreffens über Goschs „Möwe“, „die Kunst, Konzentrate des Lebens aufglimmen und wieder verlöschen zu lassen“. Das lässt sich eigentlich auch von dem Fluxus-Oratorium von Schlingensief sagen, nur dass er nicht Dramen von Tschechow oder Schimmelpfennig als Ausgangspunkt nimmt, sondern immer die eigene Geschichte.

Das tut auch Joachim Meyerhoff, Schauspieler am Burgtheater Wien und Autor und Regisseur einer Reihe von Soloperformances, der unter dem Titel „Alle Toten fliegen hoch“ extrem autobiografisch wird. Der schlaksige Meyerhoff kommt mit einer großen Portion Eigenliebe und Narzissmus auf die Bühne, verwandelt dabei das Theater aber auch in einen neuen Kommunikationsraum. Niemand kann sich seinem norddeutschen Charme und Witz entziehen, auch gerade dort, wo er von den Toten der Familie oder den Patienten in der Klinik seines Vaters erzählt. Seine Einladung zum Theatertreffen verspricht die Entdeckung einer neuen Stimme. Das gilt auch für die britische Regisseurin Katie Mitchell, die aus Köln mit „Wunschkonzert“ eingeladen wurde, einem medienreflexiven Stück über Einsamkeit und die Produktion von Ersatzrealitäten.

Überhaupt: Sicher wird der Jury der sieben Kritiker wieder vorgeworfen, mit Gosch, Nicolas Steman, Andreas Kriegenburg, Christoph Marthaler und Martin Kusej lauter alte Bekannte geladen zu haben. Trotzdem gab es lange nicht mehr so viel Zeichen für Aufbruch: Nur liegen sie mehr in der Emanzipation von Vorhersehbarem und der Entwicklung der Regisseure als in neuen Namen.

KATRIN BETTINA MÜLLER