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Archiv-Artikel

Die deutschen Proteste sind heftig, aber sie kommen spät

Der Schulterschluss von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) mit seinem italienischen Kollegen ärgert die Grünen. Nur Außenminister Fischer hält sich bedeckt

BERLIN taz ■ Zahlreiche Politiker von SPD und Grünen protestierten gestern gegen die Beschlagnahmung des deutschen Rettungsschiffs „Cap Anamur“ und die Festnahme der Crew durch die italienischen Behörden. Auch am Verhalten von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) wird deutliche Kritik aus den eigenen Reihen geäußert. Jetzt.

In den drei Wochen zuvor, als die „Cap Anamur“ mit 37 afrikanischen Schiffbrüchigen an Bord ohne Einlaufgenehmigung zwischen Malta und Italien durchs Mittelmeer geschippert war, hatte es nur drei Politiker gegeben, die sich wirklich dafür interessierten: die Innenminister aus Rom, La Valetta und Berlin. Allen dreien ging es darum, die Aufnahme der Flüchtlinge und damit einen „gefährlichen Präzedenzfall“ zu verhindern, alle drei schoben die Zuständigkeit hin und her. In Deutschland schien der Vorgang niemanden sonderlich zu beschäftigen – bis die „Cap Anamur“ zu drastischen Mitteln griff.

Erst nachdem der Kapitän trotz Verbots die italienische Küste angesteuert und in einem Notruf berichtet hatte, die Afrikaner drohten sich vor lauter Verzweiflung ins Meer zu stürzen, steigerte sich das Interesse der Medien – und das Engagement der deutschen Politiker. Einige Grüne forderten, Deutschland sollte den Schiffbrüchigen Asyl gewähren – freilich ohne Erfolg. Schily blieb bei seiner Linie und lehnte jegliche Zuständigkeit ab. Das grün geführte Außenministerium hielt sich, zumindest öffentlich, zunächst aus der Angelegenheit heraus. Es habe natürlich Kontakt zwischen Innen- und Außenministerium gegeben, sagte die Sprecherin von Joschka Fischer. „Aber die Zuständigkeit liegt beim Bundesinnenminister.“ Auf die Frage, ob es Meinungsverschiedenheiten zwischen Schily und Fischer gebe, antwortete sie: „Nein. Ich sagte ja, dass die Zuständigkeit beim Bundesinnenminister liegt.“ Fischer hielt sich an die Kleiderordnung. Erst als die deutschen Besatzungsmitglieder der „Cap Anamur“ in Polizeigewahrsam kamen, beauftragte er den deutschen Botschafter in Rom, bei der italienischen Regierung nachzufragen. Konsularbeamte seien nach Sizilien gefahren, hieß es, um Cap-Anamur-Chef Elias Bierdel und seinen Mitstreitern Hilfe anzubieten.

Was den Umgang mit dem Asylgesuch der Afrikaner betrifft, hat sich Schily durchgesetzt. Nur dass die „Cap Anamur“ so viel öffentliche Aufmerksamkeit bekam, passt ihm nicht ins Konzept. Also ließ er seinen Sprecher erklären: „Die Umstände deuten darauf hin, dass es Cap Anamur auch um Selbstdarstellung geht.“ Eine Interpretation der Ereignisse, die gestern unter anderem auch von der Süddeutschen Zeitung geteilt wurde, die das Flüchtlingsdrama als „PR-Aktion“ titulierte.

Egal, was man davon halten mag: Immerhin hat inzwischen auch eine politische Diskussion darüber begonnen, wie man künftig mit Flüchtlingen aus Afrika umgehen sollte. Es mehren sich die Stimmen, die „Italien nicht allein lassen“ wollen und „eine faire Lastenverteilung auf alle europäischen Länder“ fordern. LUKAS WALLRAFF