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Archiv-Artikel

Es fehlt das Gegenstück

betr.: Arbeitslosengeld II

Für Langzeitarbeitslose ist an Hartz IV positiv, dass sie nicht mehr in die Sozialhilfe abrutschen können. Die Kröte, die sie dafür schlucken müssen und die ebenfalls Teil des Gesamtpakets ist, besteht darin, dass jede zumutbare Arbeit angenommen werden muss, um vom Arbeitslosengeld II unabhängig zu werden. Das ist der heutigen Beschäftigungsproblematik sicher angemessen, und es dürften sich aus dieser „Verschärfung“ neue Impulse für sinkende Soziallasten und eine Erhöhung der Beschäftigungsquote ergeben.

Eine zumutbare Arbeit ist aber auch jede Tätigkeit, deren Vergütung hinter den tariflichen oder auch nur ortsüblichen Löhnen zurückbleibt. Und da hakt’s im System: Eine echte Unabhängigkeit von Sozialleistungen kann es nur geben, wenn der Arbeitslohn für den Lebensunterhalt ausreicht. Das aber ist heute sogar durch das Tarifvertragswesen nicht mehr gesichert. Gründe dafür sind schlechte Tarifabschlüsse (vor allem im Osten Deutschlands), niedriger Organisationsgrad und sog. OT-Mitgliedschaften, die es Arbeitgebern erlauben, „ohne Tarifbindung“ ausschließlich Nutznießer der Vorteile aus der Verbandsmitgliedschaft einschließlich der verbandlichen Rechtsberatung und Prozessvertretung zu sein. Dem Arbeitslosengeld II fehlt’s deshalb am Gegenstück zu den „Zumutungen“ für die Langzeitarbeitslosen: einem gesetzlichen Mindestlohn (wie es ihn sogar in den USA und Großbritannien gibt) und einer zwingenden Tarifbindung von Verbandsmitgliedern. Diese Maßnahmen hätten auch existenzsichernde Funktion für Unternehmen, die reguläre tarifliche Löhne zahlen, gegenüber Konkurrenten, die sich durch Lohndumping im Wettbewerb besser stellen. Die Praxis in der Bauwirtschaft zeigt, wie ein Mindestlohnsystem Arbeitsplätze und Unternehmensexistenzen gleichermaßen sichert. Das sollte dem Gesetzgeber Vorbild für andere Branchen sein. Auch eine Rückbesinnung auf das vorhandene, aber bislang nie genutzte Instrumentarium des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen aus dem Jahre 1952 sollte Arbeitsminister Clement in Erwägung ziehen. MARKUS SPRENGER, Konstanz