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Archiv-Artikel

„Busse nehmen Fahrräder kostenlos mit“

Amis malen Fahrradspuren, reißen Highways ab und zahlen 8 Dollar fürs Kurzzeitparken. „Da kann man viel lernen“, findet Michael Cramer, radelnder Verkehrsexperte der Berliner Grünen, der sich kürzlich in den USA umgesehen hat

taz: Herr Cramer, Sie waren jüngst in den USA. Lance Armstrong war da bei der Tour de France. Haben Sie sich sehr alleine gefühlt – als Radfahrer?

Michael Cramer: Nein, zum Glück gibt es da ja noch ein paar mehr Radfahrer. Ich war viel unter Ökologen und Sportlern – die fahren natürlich viel Rad. Vor Pauschalurteilen sollte man sich hüten. Es gibt zum Beispiel eine Organisation, die sich für nationale und autofreie Fahrradrouten engagiert. Die haben immerhin schon 20.000 Kilometer erkämpft: von Chicago bis zur Ostkünste oder eine 700 Kilometer lange Strecke entlang der San Francisco Bay, ähnlich wie der Berliner Mauer-Radweg.

Immerhin hat der Berliner Senat versprochen, in der City die „Lücken“ im Radwegenetz zu schließen. Ist das nichts?

Doch, und das passiert ja auch auf unseren Druck hin. Man darf aber nicht vergessen, es gibt in Berlin viele Radwege, aber nur wenige markierte Radspuren auf den Straßen, wie wir sie favorisieren. In den USA ist das längst Normalität – egal ob in Chicago, New York oder San Francisco. Auch sonst kann man dort viel lernen.

Von den USA in Sachen Fahrradfreundlichkeit lernen? Ist es so weit gekommen?

Nein, nein. Natürlich sind die USA eine autofixierte Gesellschaft. In weiten Teilen der Städte gibt es eine Zwangsmotorisierung, weil man ohne Auto aufgeschmissen ist. Aber auch da muss man differenzieren. In New York fährt man kaum Auto, auch in San Francisco braucht man keins, weil viel zu Fuß erreichbar ist und das Nahverkehrssystem funktioniert. Es gibt auch positive Beispiele.

Und welche positiven Beispiele sind das?

Man versucht, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Zum Beispiel werden in vielen Städten die Autobahnen wieder abgerissen. In San Francisco hat man den doppelstöckigen Highway nach dem 89er Erdbeben nicht wieder aufgebaut. Jetzt ist dort ein Boulevard. Auch in New York wurde der Roosevelt-Highway zugunsten eines Boulevards abgerissen. Oder in Portland, Oregon, da führte ein Highway direkt am Fluss entlang. Jetzt ist dort ein Park. An anderer Stelle wurde ein Parkhaus abgerissen und ein Stadtplatz angelegt.

Was würden Sie in Berlin abreißen?

Am liebsten die Autobahn am Breitenbachplatz, die den Platz total zerstört hat. Wir dürfen nicht die gleichen Fehler machen. Entlang des Teltowkanals befinden sich zum Beispiel hochwertige Grundstücke und dem Senat fällt nichts Besseres ein, als dort eine Autobahn zu bauen.

Immerhin soll die Parkraumbewirtschaftung in Berlin ausgeweitet werden.

Das ist richtig und notwendig. Aber es hilft nur, wenn sie flächendeckend und nicht für Dumpingpreise zu haben ist. Im Zentrum von Chicago zahlen Sie für die ersten zwanzig Minuten 8 Dollar. Da überlegen Sie ernsthaft, ob Sie das Auto nehmen. Nur fehlt in den USA oft einfach die Alternative. Deswegen habe ich auch niemanden getroffen, der gesagt hätte, „die Entwicklung der Städte in den letzten 50 Jahren war toll“. Viele sehnen sich nach dem europäischen Stadtmodell mit kurzen Wegen und öffentlicher Verkehrsanbindung.

Also freuen sich wenigstens Amerikaner über die BVG?

Mit Sicherheit. Aber auch in den USA hat sich in den letzten Jahren viel getan. Die Straßenbahn erfährt eine Renaissance. Und nicht vergessen: In New York fahren die U-Bahnen jeden Tag 24 Stunden – in Berlin haben wir das gerade für das Wochenende eingeführt.

Jetzt sagen Sie nicht, auch beim Nahverkehr können wir von den USA lernen?

Teilweise schon. Nehmen wir Kalifornien, da fahren die Linienbusse mit Erdgas, die Tickets sind billiger und man kann in allen Bussen sogar Fahrräder mitnehmen – kostenlos natürlich. An der Stirnseite befinden sich dafür Metallgestelle. Man muss die USA eben differenziert betrachten und die positiven Beispiele in Berlin Realität werden lassen.

INTERVIEW: JAN ROSENKRANZ