: Stöhnen als Widerstand
betr.: „Weiter so, Rot-Grün“, taz vom 9. 7. 04
Was sich da für Polemik hält, kann ich auch in dem braven Bürgerblatt Badische Neueste Nachrichten jeden Tag über Rot-Grün nachlesen. So was Mattes. Da fehlt doch was!
Ja, es fehlt der unbedingte Wille zur Kontroverse. Die Leidenschaft, für eine Sache einzutreten, die man für richtig hält. Aber was ist richtig? Weil niemand das weiß, heult man mit den Wölfen und unterstützt das rot-grüne Reform(mach)werk.
Niemandem kocht das Blut darüber, mit welch zynisch durchkalkulierter Rücksichtslosigkeit Millionen ins soziale Elend getrieben werden, um sie unter Preisgabe von Würde und Selbstachtung zu einer „flexiblen“ Einstellung auf dem Arbeitsmarkt zu veranlassen. Niemand regt sich darüber auf, dass die Armen im Lande die Staatsfinanzen sanieren sollen, deren Ruin durch eine permissive Steuersenkungspolitik kurz bevorsteht. „Wer über manche Dinge den Verstand nicht verliert, der hat auch keinen.“ (Schiller)
Vielleicht ist die „Agenda 2010“ selbst das Problem für die ganzen Probleme, die sie damit zu lösen vorgibt. So bleiben diese so genannten Polemiken in einer bloßen hämischen Kritik des Handwerkli chen und Performativen stecken. Weiter so, taz!
ROLAND KLEE, Heidelberg
Schade, schade. Ihr Dossier über Halbzeit bei Rot-Grün vermittelt genau jene Art von „Motzigkeit“, wie sie pubertierende Jungprotestler gerne verbreiten. Lamentieren, Schlagworte dreschen, in der Sache indifferent – da hilft auch das Etikett „Polemik“ wenig. Wissen Sie eigentlich, wovon Sie reden, oder schreibt da nur der eine beim anderen ab? Warum sagt nicht ein einziges Mal jemand, worum es ihm eigentlich geht? Regierungs-Bashing macht sicher Spaß, klar. Aber etwas billig ist die Art, wie Sie es betreiben, schon. Alternativen aufzeigen? Fehlanzeige. Aber ich vergaß: Das ist ja auch nicht Ihre Aufgabe.
FRIEDRICH HÖFERMANN, Düsseldorf
Herzlichen Glückwunsch zur nun abgeschlossen scheinenden Emanzipation von rot-grüner Politik.
Hat es mich in den letzten Jahren oft gestört, wie enthusiastisch die taz auch über die noch so unsozialen, unfähigen und konservativen Anwandlungen rot-grüner PolitikerInnen berichtet hat (und es beinahe schien, als ob Ihr auf dem grünen Auge blind wäret), so war ich angesichts von so viel ehrlicher und berechtigter Kritik an Rot-Grün in eurer Ausgabe vom 9. 7. positiv überrascht.
Wenn ihr jetzt noch über eure PDS-Phobie hinweg kämt und Politik nach dem beurteilt, wie sie sich verhält und nicht danach, wem man emotional mal nahe stand, wäre ich wunschlos glücklich.
KERRY SAILER, Dresden
betr.: „Jetzt mal richtig, ihr Flickschuster“, Seite 4
Hier möchte ich Christian Fuller in seinem Kommentar einmal sanft widersprechen. Helmut Kohl hat die „geistig moralische“ Wende keinesfalls ausgesessen, er hat sie vollzogen. 16 Jahre Kohl, 16 Jahre Lohnverzicht. Erhöhung der Wohnungsmieten von 12–15 % auf 30–50 % des Nettoeinkommens zu Gunsten der notleidenden VermieterInnen. Da weiß doch endlich wieder jedeR, wo er/sie hingehört.
Im Gegenzug belügen und betrügen UnionspolitikerInnen reihenweise die demokratischen Gremien und verfallen danach kollektiv in partielle Amnesie. Da laufen sie mit Geldköfferchen durch die Flure der Parlamente und lassen sich politische Entscheidungen durch gute FreundInnen gut bezahlen. Kohl hat es zustande gebracht, dass das Wahlvolk vor dem Wort „Reform“ wieder Respekt hat und beginnt zu zittern, was da kommen mag.
Rot-Grün bringt es nun zustande, dass jedeR (noch) ArbeitsplatzbesitzerIn auf den Lohn jenseits der Sozialhilfegrenze verzichtet, auf dass die ArbeitgeberInnen wieder bessere Laune bekommen und sich vielleicht– aus der Euphorie heraus – dazu hinreißen lassen, doch noch ein paar Niedrigstlöhnchenjobs zu schaffen. Hier merkt man/frau den Unterschied: Rot-Grün arbeitet doch näher an der Basis.
Was Kohl und Rot-Grün vereint: Sie können sich auf das Phlegma der gebeutelten WählerInnen verlassen. Mehr, als ein Stöhnen ist als Widerstand nicht zu erwarten. Erst wenn unsere Löhne ukrainisches und die Sozialpolitik amerikanisches Niveau erreicht haben, scheint unser Land für echte Reformen (ich mag das Wort ja schon gar nicht mehr in den Mund nehmen) wieder bereit. Das jedoch mag noch eine ganze Weile dauern, bis dahin reiben sich die UnternehmerInnen die Hände und wärmen sie im Schoß der Politik.
THOMAS FENKL, Bremen
betr.: „Rentner der Tafelrunde“, Seite 4
„… die Lafontaines und Scharpings gingen, die Strucks und Eichels kamen…“ .
Einzelpersonen im Plural zu nennen ist bei Journalisten anscheinend gerade schick. Mir als Leser stößt dieser Stil aber immer wieder auf. Solange der Kanzler keine Klonmaschine im Keller hat, hat er eben nur einen Scharping und nur einen Struck entlassen. Im Pluralis Singularis schwingt jedoch die latente, verschwörungsschwangere Behauptung mit, ganze Heerscharen seien betroffen gewesen. Ich empfinde diesen Stil als plumben Manipulationsversuch: Masse soll vorgetäuscht werden, wo Einzelfälle vorliegen.
Wenn ein Autor größere Zusammenhänge hinter einzelnen Ereignissen vermutet, soll er diese gefälligst aussprechen und nicht durch sprachlichen Unsinn andeuten, ohne konkret zu werden … dann müssten sich auch die ganzen Lesers mit Restsprachgefühl nicht so sehr aufregen. ROLAND KÜFFNER, Erlabrunn