: A hustle here and a hustle there
„Little Joe“: Warhol-Superbody Joe Dallesandro zeigt im Panorama einen Dokumentarfilm über sich selbst
Joe Dallesandro, inzwischen 60, erzählt sein Leben. Sein Leben nackt vor der Kamera. Vor vierzig Jahren. In den legendären Filmen von Andy Warhol und Paul Morrissey. Und den anderen. Solche Rollen waren damals Frauen vorbehalten. Dallesandro spielte sie als Mann. Auf den Kultfotos gern auch nackt mit seiner kleinen Tochter auf dem Bauch. Vedra Mehagian Dallesandro. Sie hat jetzt den Film „Little Joe“ mitproduziert.
Das Tattoo „Little Joe“ ziert seinen rechten Oberarm schon im Stricher-Film „Flesh“ (1968). Es wurde Dauerkult. Lou Reed widmete ihm vier Jahre später seinen Song „Walk on the Wild Side“. Sein Schritt erschien auf dem Cover „Sticky Fingers“ der Rolling Stones. Fest in Jeans gepackt, aber mit einem echten Reißverschluss. Zum Aufziehen.
Dallesandro. Sexsymbol für Mann und Frau. Vater. Und heute sitzt er lässig vor der Kamera, überlegen, lächelnd, und sagt: „My job is to project the family“. Er sagt es am Anfang und am Ende des Films. Keine deutschen Untertitel! Aber auch so versorgt er uns auf der Tonspur mit einer Kompaktdauerbio. Nichts fehlt. Dallesandro hat den Film mitgestaltet. Damit ist jedenfalls dafür gesorgt, dass er geschützt bleibt. Nicole Haeusser, die mit „Joe“ ihren ersten großen Dokumentarfilm gemacht hat, ist ihrerseits vor Beanstandungen des Porträtierten und seiner Familie geschützt. Das hätten im Buchsektor Autor und Verlag von „Esra“ auch so machen sollen.
Aber zurück zu „Little Joe“. Die Regie brauchte jetzt nur noch zu Dallesandros rasanter Dauerspeech Bildmaterial organisieren. Davon gibt’s reichlich. Von einem Leben vor der Kamera. Keine Lücke! Foto über Foto, Filmausschnitt über Filmausschnitt drängen sich im Schnellgang. Auch das ist nicht zu schaffen. Also müssen wir mit dem linken Auge links und mit dem rechten rechts auf die Leinwand gucken. Auf die Splitscreens. Wer meint, ihm entgeht dabei was, braucht sich nicht zu sorgen. Mitten im Film wird eine Werbetafel mit den DVDs der Filme gezeigt, die auf Zweisekundenschnipsel zusammengeschnurrt waren.
Die Bildmassen stehen für die Vollständigkeit des Lebens ein. Nicht aber für die Qualität eines männlichen Superstars des legendären Undergrounds der Siebzigerjahre und weit darüber hinaus. Das wird zwar im Film behauptet. Wieder von einem Talking Head. Wieder in einem Kurzstatement. Von Sir Laurence Olivier.
Rasch weiter. Reisefotos folgen. Dallesandro, inzwischen berühmt, auf Europatour. In der BRD kam er groß heraus! Was sehen wir? Das Holstentor in Lübeck. Den Hamburger Hafen. Sightseeing in Westberlin. Found Footage Quality.
Möglicherweise will Dallesandro aber auch nicht Aufhebens von sich und den Filmen machen. Anekdoten: ja, und zwar ohne Ende. Große Worte: aber nein. Er hat sich in der Tat nie als Star geriert. Das hat ihn immer sympathisch gemacht. Der Bühnentest kommt heute Abend. In Berlin. Im Haus der Kulturen der Welt wird ihm der queere Filmpreis Teddy verliehen.
DIETRICH KUHLBRODT
„Little Joe“. R: Nicole Haeusser. Mit Joe Dallesandro. USA 2009, 87 Min.; 13. 2.; 17.30 Uhr, Cubix; 15. 2., 15.30 Uhr, Colosseum