„Es gibt ein klares Anti-Motiv“

Seit gestern steht in Verden der Arzt Jens K. vor Gericht, dem Verabredung zu erpresserischem Menschenraub und Mord sowie „abstoßendes Gewinnstreben“ vorgeworfen wird. Der Mediziner gibt das unschuldige Opfer, dem übel mitgespielt worden sei

Verden taz ■ Manchmal hält man die Drehbuchautoren von Fernsehkrimis ja für krude Phantasten. Doch die Realität kann jede Fiktion allemal toppen: Seit gestern muss sich der Achimer Arzt Jens K. – auch in Bremen kein Unbekannter (siehe Kasten) – vor dem Landgericht Verden verantworten. Dem Mediziner wird die Verabredung zu erpresserischem Menschenraub und Mord aus Habgier vorgeworfen – er soll zusammen mit einem Komplizen geplant haben, einen 38-jährigen Zahnarzt zu entführen, zu berauben und umzubringen.

Auftritt K. Wie aus dem Ei gepellt sitzt der 40-jährige Familienvater vor hohen Aktenstapeln: grauer Dreiteiler, weißes Hemd, lila gesprenkelte Krawatte, leicht getönte Brille, gepflegter Schnäuzer. Das Auffälligste aber an dem Mann ist seine Sprache. K., der seit Februar in U-Haft sitzt, spricht druckreif, drückt sich gewählt und juristisch versiert aus. „Ich möchte mich an die chronologische Reihenfolge halten“, sagt er immer wieder. Oder: „Lassen Sie mich hier noch rasch etwas einflechten.“

Die Staatsanwaltschaft wirft K. eine „vom ernstlichen Willen getragene Vereinbarung“ vor: Zusammen mit seinem Patienten Michael E., den der Arzt auch als „Privatdetektiv“ engagiert hatte, habe er den Zahnarzt Thomas H. in dessen Achimer Tiefgarage überfallen, ihn mit einem Medikament betäuben und dann zu einem ehemaligen Bunker auf einem Truppenübungsplatz verschleppen wollen. Dort, so die Anklage weiter, habe man H. mit Schlägen unter anderem zur Preisgabe von Konten und Pin-Nummern zwingen und ihn dann mit einer Überdosis Novodigal töten wollen. K. solle auch vorgehabt haben, sich „den Erlös auf einer von H. abgeschlossenen oder abzuschließenden Lebensversicherung“ unter den Nagel zu reißen. Das vermutete Motiv: K.s „noch über die Gewinnsucht hinaus gesteigertes, abstoßendes Gewinnstreben“.

„Mir Habgier oder Ähnliches vorzuwerfen ist völliger Unsinn“, tat K. die Vorwürfe ab. Vielmehr sei er das eigentliche Opfer: Da sein Patient E., der aus seinem kriminellen Hintergrund keinen Hehl gemacht habe, ihn über einen längeren Zeitraum bedroht und erpresst habe, habe er angefangen, ihn „mit erfundenen Geschichten in die Irre zu führen“.

Im Übrigen, so K. trocken, hätte es doch gar keinen Sinn gemacht, dem finanziell angeschlagenen Zahnarzt, der ihm „eine hohe sechsstellige Summe“ geschuldet habe, etwas anzutun. Nur beim Fortbestehen von dessen Arbeitskraft habe ja die Möglichkeit bestanden, das Geld jemals zurückzubekommen, so die Logik des Angeklagten: „Herrn Doktor H. etwas zu tun, wäre geradezu dasselbe gewesen, wie einen Lottoschein mit einem Sechser drauf zu verbrennen“, kalauerte K. Es gebe also „nicht nur kein Motiv, nein, es gibt ein klares Anti-Motiv“.

Der Hintergrund des verworrenen Kriminalfalls: K. und H. hatten sich bei der Bundeswehr kennengelernt, sie arbeiteten dort als Ärzte. Die beiden gründeten dann in Achim eine Gemeinschaftspraxis. Schon bald kam es jedoch zu Zank, der Ende 2001 eskalierte: In einer Nacht- und Nebelaktion habe der Zahnarzt das gesamte Inventar der 400-Quadratmeter-Praxis ausgeräumt. Obwohl H. mehrfach zivilrechtlich zur Herausgabe der Einrichtung verurteilt worden sei, sei dieser stur geblieben und habe sich vor dem Gerichtsvollzieher versteckt, so K. Also habe er seinen Patienten E. als Privatdetektiv angeheuert. Doch anstatt „leise und diskret zu observieren“, sei E. dilettantisch und gewalttätig vorgegangen. Irgendwann habe der „Profi-Gangster“ angefangen, auch ihn und seine Familie zu bedrohen, barmte K. Er sei sogar auf Anweisung von E. mehrfach „mit einem Motarradhelm überm Kopf“ an Geldautomaten gegangen, um mit einer dubiosen Kreditkarte hohe Beträge abzuheben, räumte der Arzt ein. Warum er sich aber nie der Polizei anvertraute, sagte er nicht. Markus Jox