: „Je wärmer, desto schneller, desto brachialer“
Der Befall ist schlimmer als letztes Jahr, sagt Hartmut Balder vom Pflanzenschutzamt. Da die Chemiekeule in Berlin nicht eingesetzt werden kann, hilft nur Laub sammeln. Trotzdem müssen wir mittelfristig mit der Miniermotte leben
taz: Herr Balder, schon im letzten Sommer gab es einen flächendeckenden Befall durch die Kastanienminiermotte. Ist die Lage derzeit noch schlimmer?
Hartmut Balder: Die Schäden sind schlimmer. Vor allem dort, wo das Laub 2002 nicht entfernt wurde, ist der Druck in diesem Frühjahr besonders groß gewesen. Die Motten fliegen jetzt ja zu Millionen in den Bäumen herum. Außerdem sind die Temperaturen hoch. Schon im Frühjahr herrschten ideale Startbedingungen für die Motte. In der Stadt ist es außerdem wärmer, der Befall setzt früher ein als im Umland. Hier gilt: je wärmer, desto schneller, desto brachialer.
Warum werden keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt?
Für die Chemieindustrie gibt es kaum ökonomisches Interesse an der Entwicklung und Zulassungsbeantragung solcher Mittel. Landwirtschaftliche Nutzpflanzen sind da ertragreicher. Eigentümer von Stadtgrün sind bei ihren Pflanzen oft leidenschaftslos. So wird von 10.000 wirksamen Substanzen nur für eine die Zulassung beantragt. Darüber hinaus ist das Problem ein rechtliches. Es gibt ein Mittel, das für Betriebsflächen zugelassen ist, nicht aber für generelles Stadtgebiet wie in Berlin. Brandenburg definiert Betriebsflächen anders, dort darf es eingesetzt werden. Viele öffentliche Flächen gelten hier als Betriebsflächen eines Gartenbauamtes.
Was macht das Pflanzenschutzamt praktisch?
Wir sind eine kontrollierende und beratende Behörde. Dazu gehört die amtliche Pflanzenbeschau bei Importen von Obst, Gemüse oder Nutzholz. Wir kontrollieren Handel und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Vor der Zulassung werden diese von uns geprüft. Grundlage dafür sind langjährige Forschungen. In einem Gemeinschaftsprojekt mit der Technischen Fachhochschule wird beispielsweise der Frage geeigneter natürlicher Feinde der Motte nachgegangen.
Ihre Behörde besprüht die Bäume nicht selbst?
Nein, das macht der Eigentümer der jeweiligen Fläche. Die Grünflächenämter, Firmen oder Privathaushalte. Oft nach eingehender Beratung durch uns.
Was kann jeder Einzelne gegen die Miniermotten tun?
Laub fachgerecht entsorgen und bei den Sammelaktionen mitmachen. Schon jetzt fallen Blätter ab und müssen gesammelt werden. In den Bezirken gibt es dazu Ansprechpartner. Spätestens Ende Oktober ist die Hilfe aller gefragt. Ziel muss sein, ein böses Erwachen im Frühjahr zu verhindern.
Wie soll das gehen?
Mittelfristig müssen wir mit der Motte leben. Aber mit konzertierten Aktionen können die Bäume durch die sensible Herbstphase gebracht werden. Die Ausgangsbedingungen sind dann nächstes Jahr nicht ganz so schlecht.
INTERVIEW: HANNES HEINE